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Homöopathische Arzneimittel: Zugelassen trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz – Wo sind die rechtlichen Schlupflöcher?

| 2 Kommentare

Udo Endruscheit sieht sich in seinem Artikel vom 4. Juni an, wie es homöopathische Mittel trotz fehlender wissenschaftlicher Grundlage schaffen, zugelassen zu werden.

Homöopathische Arzneimittel dürfen in Verkehr gebracht und in bestimmten Fällen sogar von gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden – ohne dass sie einen Wirksamkeitsnachweis im medizinisch-wissenschaftlichen Sinne erbringen müssen.

Zwei rechtliche Komponenten sind dabei entscheidend:

Ermöglicht wird diese Abweichung durch eine Kombination aus arzneimittelrechtlicher Ausnahmezulassung (§ 38 AMG) und einem sozialrechtlichen Konstrukt, das in Fachkreisen als „sozialrechtlicher Binnenkonsens“ bekannt ist. Während das Arzneimittelgesetz sich demonstrativ über die Frage der medizinischen Evidenz ausschweigt, unterläuft das Sozialrecht seine eigenen Anforderungen an den Stand der Wissenschaft – und schafft so ein legales Einfallstor für Pseudomedizin.

Die Folge: Was rechtlich „Arzneimittel“ heißt, wird sozialrechtlich zur scheinbar medizinisch fundierten Leistung – ohne es jemals real gewesen zu sein.

1 Ausnahmezulassung nach § 38 AMG

Homöopathika müssen nicht das übliche Zulassungsverfahren nach § 21 AMG durchlaufen. Stattdessen genügt eine Registrierung nach § 38 AMG. Die Anforderungen dafür sind überschaubar:

  • eine plausible (?) Anwendungsbegründung auf Grundlage homöopathischer Lehre,
  • ein ausreichender Sicherheitsnachweis,
  • und der Ausschluss von spezifischen Indikationsangaben.

Von medizinischer Wirksamkeit ist hier bewusst keine Rede:

Der Ausschluss von Indikationsangaben ist das Indiz dafür, dass etwas wie medizinische Wirksamkeit im Zusammenhang mit der Registrierung nach § 38 AMG keine Rolle spielte – der Gesetzgeber wollte ersichtlich dieses Terrain gar nicht betreten und auch nicht suggerieren, es gebe spezifische Wirksamkeitsbelege für registrierte Homöopathika.

Das Bundessozialgericht hat diesen Unterschied in einem Urteil von 2008 klargestellt:

Homöopathika sind also rechtlich Arzneimittel, medizinisch jedoch nicht evidenzbasiert.

2 Sozialrechtlicher Binnenkonsens

Was im Arzneimittelrecht noch strikt getrennt wird, wird im Sozialrecht durch den sozialrechtlichen Binnenkonsens aufgeweicht. Dieser

bezeichnet die Praxis, Leistungen auch dann als erstattungsfähig zuzulassen, wenn sich die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung (z. B. Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband) darauf verständigen – selbst dann, wenn ein medizinisch-wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis fehlt oder fraglich ist.

3 Was das praktisch bedeutet.

Krankenkassen können auf dieser Grundlage Homöopathie in ihre Satzungen aufnehmen.

Der juristische Trick ist dabei nicht trivial, sondern ein Spiel über Bande:

  • Homöopathika erhalten durch § 38 AMG eine formale Arzneimittelzulassung – ohne Wirkungsnachweis.
  • Die Sozialrechtsprechung erkennt diese formale Zulassung nicht als Wirksamkeitsbeleg an – lässt aber zu, dass die Kassen solche Mittel erstatten, wenn sie es freiwillig tun.
  • Der Binnenkonsens ersetzt die wissenschaftliche Evidenz durch ein kartellartiges Einvernehmen innerhalb des Systems.

Die Konsequenz:

Während das AMG sich bewusst nicht zur Wirksamkeit äußert, wird im sozialrechtlichen Vollzug aus dieser Leerstelle eine faktische Legitimation konstruiert.

4 Die Rolle der Kommission D

Ein weiterer Weg der Registrierung:

Neben der Registrierung homöopathischer Mittel nach § 38 AMG gibt es in Deutschland auch den formal „höherwertigen“ Weg der Zulassung mit Indikation – ein Verfahren, das für Homöopathika ausschließlich über die sogenannte Kommission D beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt. Die Kommission D ist ein eigens eingerichtetes Sachverständigengremium für die „besonderen Therapierichtungen“, das Empfehlungen für die Zulassung von Arzneimitteln auf Grundlage alternativmedizinischer Kriterien abgibt.

Problematisch ist dies, weil in dieser Kommission selbst viele Homöopathen sitzen:

Mit der Möglichkeit zur Zulassung homöopathischer Arzneimittel durch die Kommission D wird diese Scheinwelt nicht etwa korrigiert, sondern auf eine höhere Stufe formaler Legitimation gehoben. Denn im Gegensatz zur Registrierung nach § 38 AMG handelt es sich bei den von der Kommission D befürworteten Mitteln tatsächlich um vollwertige Zulassungen nach § 25 AMG – mit Indikation und verordnungsfähigem Status.

Entscheidend ist: Auch hier geht es nicht um medizinisch-wissenschaftliche Belege.

Die Kommission D vollzieht diese Legitimationsverschiebung im Behördenvollzug: Sie prüft nicht nach wissenschaftlicher Evidenz, sondern nach kohärenter Binnenlogik der jeweiligen Therapierichtung. Dabei gilt nicht, was sich objektiv bewährt, sondern was innerhalb der Schule als plausibel gilt.

5 Fazit

Udo fasst zusammen:

Die deutsche Gesetzeslage im Arzneimittel- und Sozialrecht kennt – auf dem Papier – eine klare Leitlinie: Medizinische Verfahren und Arzneimittel müssen dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen. Dieser Satz zieht sich durch das AMG ebenso wie durch das SGB V. Doch in der Praxis ist dieser Standard löchrig wie ein Schleppnetz, das ein Blauwal ungehindert passieren könnte.

Daraus folgt:

Homöopathische Mittel dürfen verkauft, erstattet und beworben werden, ohne je ihre medizinische Wirksamkeit bewiesen zu haben – allein durch regulatorisches Etikett und systeminternen Konsens.

Deswegen fordert Udo:

  • Die Abschaffung des sozialrechtlichen Binnenkonsenses als faktische Parallelstruktur zur evidenzbasierten Medizin.
  • Die Streichung homöopathischer und anderer pseudomedizinischer Leistungen der besonderen Therapierichtungen aus allen Satzungen und Selektivverträgen gesetzlicher Krankenkassen.
  • Eine gesetzliche Klarstellung, dass Arzneimittel im Sinne des § 38 AMG nicht als medizinisch wirksam im Sinne des SGB V gelten, solange kein wissenschaftlicher Wirknachweis vorliegt.
  • Eine politische Debatte über die ethische Verantwortung, nicht nur evidenzbasierte Versorgung zu fordern, sondern sie auch gegen wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Für den gesamten Artikel geht’s hier entlang.

Zum Thema:

  • Homepage: Informationsnetzwerk Homöopathie

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2 Kommentare

  1. Ganz entscheidend ist: Weder das Registrierungsregime noch das spezielle Zulassungsverfahren über die Kommission D bei BfArM führen dazu, dass behauptet werden könnte, für Homöopathika liege ein Wirkungsnachweis vor. Im Artikel ist näher ausgeführt, wie dieser von den Homöopathen immer wieder kolportierte Unsinn (der sogar für juristische Auseinandersetzungen herangezogen wurde) zu bewerten ist. Selbst Gerichte haben sich hier schon geirrt. Und warum? Weil das ganze ein politisch-juristischer Drahtverhau ist, dem jede innere Logik und Konsistenz abgeht, weil es sich einfach nur um das Durchsetzen von politischem Opportunismus handelte.

    Und es gibt Anzeichen, dass die neue Bundesregierung fröhlich weitermarschieren will auf dem Weg, die eigenen Prinzipien für das Gesundheitssystem mit Füßen zu treten.

  2. Was mir dabei sehr auf die Nerven geht ist, dass Homöopathika trotzdem mit Indikation beworben werden (dürfen). In den letzten Monaten und Jahren häufen sich große Anzeigen z.B. in der Nordwest-Zeitung bei einigen wenigen Mitteln. Aber dabei wird gut versteckt, dass es sich um Homöopathie handelt.

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