Amardeo Sarma beschäftigt sich in seinem neuen Artikel für den hpd mit den unterschiedlichen Richtungen, die die Wissenschaftsfreiheit unter Druck setzen.
Die Freiheit der Wissenschaft steht von sehr vielen politischen und weltanschaulichen Seiten unter Druck. Das zeigt ein Blick auf die jüngsten Ereignisse an der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard. Aber auch in Deutschland versuchen Aktivisten, unliebsame Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mundtot zu machen. Ein Appell für Aufklärung, Skepsis, Offenheit und den Mut zur Debatte.
An der Uni Harvard gab es Vorfälle, die man den Bereichen
Cancel Culture, Meinungsfreiheit und der Umgang mit antisemitischen Protesten
zuordnen kann. Amardeo zeigt das anhand von vier Beispielen.
1 Ehemalige Präsidentin Claudine Gay
Als Claudine Gay noch Präsidentin von Harvard war, musste sie vor dem US-Kongress die Haltung der Universität gegenüber antisemitischen Äußerungen erklären. Ihre Antwort sorgte für Kritik:
Sie wirkte sichtlich überfordert, als sie gefragt wurde, ob Aufrufe zum Völkermord an Juden gegen die Richtlinien der Universität verstoßen. Ihre Antwort – „Das kommt auf den Kontext an“ – löste heftige Empörung aus. Zwar war dies juristisch korrekt – aber mehr als ungeschickt formuliert: Die Präsidentin hätte jüdische Studenten klar in Schutz nehmen müssen.
Denn es ging nicht nur um Meinungsäußerung, sondern um das Sicherheitsgefühl jüdischer Studenten:
Es ging also um viel mehr als darum, dass sie unangenehme und abscheuliche Meinungen ertragen mussten: Um die Sicherheit von Leib und Leben.
2 Roland Fryers Forschung zur Polizeigewalt
Die Forschung von Ökonom Roland Fryer zur Polizeigewalt in den USA brachte Widerstand mit sich:
Fryer wurde 2019 suspendiert, obwohl die Mehrheit der Vorwürfe gegen ihn abgewiesen wurde. Kritiker sprechen von einem politischen Verfahren, das eher mit seinen Forschungsergebnissen zu tun hatte, die manchen missfielen. Er forschte über Polizeigewalt und kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass Schwarze und Weiße gleichermaßen von tödlichen Polizeieinsätzen betroffen sind.
3 ‚Woke‘
Auch aus progressiver Ecke drohen mittlerweile Einschränkungen:
Die freie Meinungsäußerung wird heute fälschlicherweise als „rechtes“ Thema dargestellt, obwohl sie historisch stets ein Anliegen der Linken gewesen ist. […] Wurde die Wissenschaft früher in Fragen wie der Evolution von Vertretern der Religion unter Beschuss genommen, kommen heute die Angriffe auf die Wissenschaft eher von der „woken“ Seite.
Der amerikanische Sprachwissenschaftler John McWorther sieht in bestimmten Spielarten des modernen Anti-Rassismus religiöse Züge:
In seinem 2021 erschienenen Buch „Die Erwählten” argumentiert er, dass der moderne Anti-Rassismus – insbesondere in seiner dogmatischen Ausprägung – religiöse Züge angenommen habe. Ziel dieser „neuen Religion” sei nicht, Schwarze zu unterstützen, sondern zu demonstrieren, dass man selbst ein guter Mensch sei.
4 ‚Anti-Woke‘
Doch auch die Gegenbewegung kippt ins Dogmatische. Unter Trump wird in den USA derzeit massiv an der Wissenschaft gespart:
Die Regierung unter Trump hat im Jahr 2025 massive Kürzungen bei den Instituten für Gesundheitsforschung (NIH) und der Nationalen Wissenschaftsstiftung (NSF) durchgesetzt: Bis zu 67 Prozent weniger Mittel stehen nun für die Grundlagenforschung zur Verfügung Begründet wurde dieser Schritt mit dem Kampf gegen „woke“ Forschung, tatsächlich handelte es sich jedoch um ein Exempel ohne Rücksicht auf Kosten.
Einrichtungen wie die University of Austin (UATX) zeigen inzwischen ähnliche Tendenzen:
UATX – ursprünglich als Zufluchtsort für freie Denker gegründet – führt zunehmend selbst ideologische Prüfsteine ein. Wer nicht explizit „anti-woke“ genug sei, werde ausgegrenzt – so geschehen mit ihrer eigenen Organisation, dem Mill Institute. Es wurde wegen moderater Positionen gegenüber DEI (Diversity, Equity, Inclusion) von der Universität entkoppelt, weil es nicht in das zunehmend dogmatische, „anti-woke” Profil passte. Avishai warnt davor, dass die UATX Gefahr laufe, genau jene Intoleranz zu reproduzieren, gegen die sie ursprünglich angetreten war – nur mit umgekehrten ideologischen Vorzeichen.
Was kann Deutschland daraus lernen?
Erkenntnisse der Wissenschaft können der einen oder anderen weltanschaulichen oder politischen Position gefallen oder missfallen. Wenn dies jedoch ein Kriterium für die Akzeptanz innerhalb von Wissenschaftseinrichtungen wäre, dann wäre die Wissenschaftsfreiheit und damit die Wissenschaft selbst am Ende. Wie an der Harvard University müssen deshalb interne Mechanismen greifen, sonst sind Entwicklungen wie in den USA auch bei uns möglich.
Amardeos Position:
Aufklärung, Skepsis, Offenheit und der Mut zur Debatte – insbesondere dann, wenn der wissenschaftlichen Community die Meinung der „anderen” nicht passt. Wenn sie Unrecht haben, wird sich das in der Debatte herausstellen. Wenn nicht, hat man etwas Neues gelernt!
Den ganzen Artikel gibt’s beim hpd!
Zum Thema:
- Artikel: Trumps Kürzungen: Warum ein Paper über Evolution nie erschienen ist., GWUP-Blog vom 01.05.2025
- Artikel: All Along the Watchtower: Trump’s Impact on Academia, Unsafe Science vom 24.04.2025
- Artikel: Steven Pinker über Harvards Widerstand gegen Trump und die Zustände an US-Universitäten, Süddeutsche Zeitung vom 15.04.2025 [Paywall]
- Artikel: 5-teilige Videoserie zu Robert F. Kennedy Jr., GWUP-Blog vom 05.04.2025
- Artikel: BMBF und Allianz der Wissenschaftsorganisationen mit einer gemeinsamen Erklärung für Wissenschaftsfreiheit, GWUP-Blog vom 04.04.2025
- Artikel: Trump und die Wissenschaft: Kürzungen, Proteste und der Kampf um die Forschung, GWUP-Blog vom 18.03.2025
- Artikel: Ein Blick auf RFK: Janos Hegedüs und Udo Endruscheit im Gespräch, GWUP-Blog vom 03.03.2025
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