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„Sektenhafte Züge“: Kritische Doku über die Satanic Panic in der Schweiz zieht weiter Kreise

| 7 Kommentare

Die SRF-Doku

Satanistische Elite im Untergrund – Verschwörungstheorie kursiert in der Schweiz

zieht immer weitere Kreise und bringt die „Satanic Panic“-Fraktion in Erklärungsnot.

Auch der renommierte forensische Psychiater Frank Urbaniok hat jetzt ein Video zu diesem Thema veröffentlicht:

Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie haben ein großes Potenzial, Menschen zu helfen. Aber es gibt auch eine dunkle, gefährliche Seite. Sie zeigt sich in dem, was ich die „kafaeseke Wendung“ nenne.

Spekulative Theorien, die sich von jeder realitätsbezogenen Überprüfbarkeit abkoppeln, werden als absolut gültige Wahrheiten vertreten und können dazu führen, bei PatientenInnen und im Umfeld von PatientInnen Schaden anzurichten. Die Verstärkung oder Induzierung falscher Erinnerungen (False memory) im Bereich von sexuellen Missbrauchshandlung ist ein solches Thema.

  • Bei Watson schildert der Journalist und Sektenexperte Hugo Stamm seine Erfahrungen in diesem Bereich:

Um den Diskussionsrahmen abzustecken, sei vorweg festgestellt, dass es in der Schweiz noch nie einen polizeilich oder gerichtlich bestätigten Fall von ritueller oder satanistischer Gewalt gegeben hat.

  • Die Wochenzeitung rechnet mit dem „Teufel im Therapiezimmer“ ab:

Forensiker Thomas Knecht wird regelmässig als Gutachter beigezogen, wenn Anschuldigungen betreffend rituellen Missbrauch im Raum stehen. Er sagt: „Kindsmissbrauch ist sehr häufig. Einem rituellen Missbrauch bin ich nie begegnet.“

Dem Fachkreis der DIS-Spezialist:innen attestiert er sektenhafte Züge: „Es fehlt an Reflexionsbereitschaft; wer anders denkt, wird ausgestossen.“ Für den Psychiater zeugt die anhaltende Wirkung der Satanic Panic davon, dass die Externalisierung des Bösen leichter falle, als zu akzeptieren, „dass es Teil unserer Innenausstattung ist“.

In Deutschland bekam mit Michaela Huber die treibende Kraft hinter der Rituelle-Gewalt-Theorie, die ihre Erkenntnisse bisweilen im Traum von ihrer toten Großmutter bezieht, das Bundesverdienstkreuz. Andere Anhängerinnen der Theorie sitzen in offiziellen Gremien zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch.

Ganz anders also nun in der Schweiz: Hier regen sich bei offiziellen Stellen Zweifel. Sind Menschen, die an die RG-Theorie glauben, geeignet, mit Kindern und mit Opfern sexuellen Missbrauchs zu arbeiten?

Zum Weiterlesen:

  • Der Teufel im Therapiezimmer, woz am 24. Februar 2022
  • Nein, hier opfert niemand Kinder auf Friedhöfen, watson am 19. Februar 2022
  • It’s Time to Revisit the Satanic Panic, New York Times am 31. März 2021
  • Rituelle-Gewalt-Theorie: Schweizer Dokumentarfilm löst heftige Reaktionen aus, EZW-Materialdienst 1/2022
  • Videovortrag mit Lydia Benecke: Ritueller Missbrauch, Satanic Panic, falsche Erinnerungen, GWUP-Blog am 1. November 2020
  • Rituelle Gewalt aus psychologischer Sicht, EZW-Materialdienst 8/2019
  • Skepkon-Video: Der Mythos vom satanisch-rituellen Missbrauch, GWUP-Blog am 13. Juni 2018
  • #ferngespräch: „Satanic Panic – Echtes Leiden, falsche Fakten“ jetzt als Video und Podcast, GWUP-Blog am 24. Juni 2020
  • Video: Die „Satanic Panic“ hat jetzt die Schweiz erreicht, GWUP-Blog am 15. Dezember 2021
  • No Retreat, No Surrender: SRF zeigt, wie man mit den heftigen Anwürfen der „Satanic Panic“-Szene souverän umgeht, GWUP-Blog am 23. Dezember 2021
  • „Journalisten sind keine Co-Therapeuten“: Der schwierige Umgang mit den Themen „False Memory“ und „rituelle Gewalt“, GWUP-Blog am 10. Februar 2022

7 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Beiträge, speziell zu diesem Thema.

    Ich habe diese Theorie lange Zeit für glaubhaft gehalten, weil ich (wie vermutlich viele) nur die Teile gehört habe, die ich hören wollte.

    Das ist mir heute peinlich. Ich habe zwei Bücher von einer Person gelesen, die diese Theorie vehement vertritt und dabei unwissenschaftlich argumentiert. Genau das war es auch, das mich stutzig gemacht hat, sodass ich im Detail wissen wollte, was eigentlich die Belege für diese Theorie sind. Dadurch wurde ich auf Beiträge wie diesen Blogartikel aufmerksam. Nochmals danke!

    Es ist unglaublich wichtig, gerade bei sensiblen Themen wie Missbrauch bei der Realität zu bleiben.

  2. Eine furchtbare Entwicklung zu Lasten gerade vulnerabler TraumapatientInnen und ihrer beschuldigten Angehörigen.

    Ein großartiger, so systematischer wie umfassender Vortrag von Frank Urbaniok, der sogar wegen seiner grundsätzlichen Inhalte weit über das Feld der Traumatherapie / der psychologischen Therapien allgemein hinausweist.

    Der Begriff der „kafkaesken Wendung“ scheint mir ein Geniestreich zu sein. Er ist weit eingängiger als mein häufig verwendeter Begriff des „Denialismus“ nach Diethelm/McKee als Einordnung der Realitätsverweigerung von Pseudomedizinern. Er beschreibt die Wendung ins Unrechtfertigbar-Nichtrationale ganz ausgezeichnet und ist zudem jedem leicht eingängig.

    Danke dafür!

    Dass die unbeirrbare Selbstüberzeugung als Ergebnis einer dauernden gegenseitigen Bespiegelung von Therapeut und Patient der „ärztlichen Homöopathie“ mehr als ähnlich ist, zeigt der auch im Video von Herrn Urbaniok gezeigte Interview-Ausschnitt mit dem schweizerischen Arzt.

    Von keines (selbstkritischen) Gedankens Blässe angekränkelt gibt er dort auf wirklich verstörende Weise den im verspiegelten Glaskasten sitzenden Therapeuten, dessen unhinterfragte Fehlurteile für seine Patienten (und unbeteiligte Dritte) ein Gefahrenpotenzial sondergleichen darstellen.

    So schürt man Sektentum und Glaubensgemeinschaften, was seine Bestätigung dann in Shitstorms, Beschimpfungen und Drohungen gegenüber den Mahnern findet.

    Die besondere Ausprägung der gegenseitigen Bespiegelung von Therapeut und Patient ist übrigens ein weiteres Argument gegen die Scheinrechtfertigung, Homöopathie müsse „in ärztlicher Hand verbleiben“, damit sich die Menschen nicht unqualifizierten „Heilern“ zuwenden.

    Eben nicht! Nirgendwo ist der Effekt der Autorität, der zu folgen sei, größer als im ärztlichen Bereich.

  3. @Udo Endruscheit

    „Ein großartiger, so systematischer wie umfassender Vortrag von Frank Urbaniok, der sogar wegen seiner grundsätzlichen Inhalte weit über das Feld der Traumatherapie / der psychologischen Therapien allgemein hinausweist.“

    Naja, es ist sicher kein schlechter Vortrag, um ins Thema einzuführen. Wer sich aber schon ein Wenig mit SRA-Verschwörungsnarrativen, dem Phänomen falscher Erinnerungen und der Herausbildung sinnstiftender Konstrukte in Psychotherapien beschäftigt hat, erfährt hier auch nichts Neues.

    „Die besondere Ausprägung der gegenseitigen Bespiegelung von Therapeut und Patient ist übrigens ein weiteres Argument gegen die Scheinrechtfertigung, Homöopathie müsse „in ärztlicher Hand verbleiben“, damit sich die Menschen nicht unqualifizierten „Heilern“ zuwenden.“

    Ihr Einsatz gegen die Homöopathie in allen Ehren, aber man muss jetzt auch nicht jedes Thema dafür instrumentalisieren.;-)

  4. Pingback: Ein überzeugender Psychiater : Dissoziationen - DIS

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