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„Binnenkonsens“: Wenn’s um Homöopathie geht, schlägt die Stunde der Märchenerzähler

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Vor zwei Monaten haben wir hier darüber berichtet, wie der unsägliche „Binnenkonsens“ dereinst zustande gekommen ist.

Im aktuellen Spiegel (48/2019) erklärt dies noch einmal der Pharmakologe Christian Steffen, der 25 Jahre lang am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gearbeitet hat, als Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfung.

Steffen: In der sogenannten Alternativmedizin, bei den anthroposophischen und homöopathischen Präparaten, da gelten Sonderregelungen. Die dafür eingerichteten Kommissionen haben diese Medikamente […] nach eigenen Regeln bewertet, ohne dass diese Kriterien nachvollziehbar waren. So war das im Arzneimittelgesetz vorgesehen.

Spiegel: Wer hat all das veranlasst?

Überzeugte Homöopathen und Anthroposophen waren und sind in allen Parteien vertreten. Sicher haben die Hersteller ebenfalls massiv Druck auf die Politik ausgeübt. Und dann spielte auch die Alternativmedizinerin Veronica Carstens eine wichtige Rolle, deren Ehemann Carl 1979 Bundespräsident wurde; sie hat unglaublich viel Lobbyarbeit betrieben.

Das Paar gründete 1982 eine Stiftung, um unkonventionelle Methoden in der Medizin zu fördern. Seitdem sind erhebliche Mitel nicht nur durch die Stiftung, sondern auch durch die Bundesregierung in die alternative Medizin geflossen.

Spiegel: Sind solche alternativmedizinischen Medikamente einfach nur wirkungslos, aber harmlos – oder können sie den Patienten schaden?

Steffen: Sie können verhindern, dass eine wirksame Therapie erfolgt.

Küzlich habe ich in einer Wochenzeitung eine Anzeige für ein angeblich neues pflanzliches Arzneimittel namens Glycowohl gesehen. „Phyto-Therapeutikum bremst Diabetes“, hieß es dort. In „klinischen Humanstudien“ sei eine starke antidiabetische Wirkung nachgewiesen worden, behauptet der Hersteller – doch eine solche Studie in ausreichender Qualität wurde nie veröffentlicht.

Laut Werbung kann das homöopathische Mittel sogar Diabetes vorbeuten. Alles Märchen!

Der Hersteller bietet das Präparat zwar als Ergänzung zu einer ärztlichen Diabetestherapie an. Doch Patienten könnten trotzdem auf eine wirksame Behandlung verzichten und schlimme Folgeschäden davontragen […]

Spiegel: Warum haben Sie nichts dagegen unternommen, dass Ihre Behörde fragwürdige Präparate zulässt?

Steffen: Jeder Beamte muss sich an die Gesetze halten. Es war ja politisch gewollt und im Bundestag beschlossen, dass in einigen Bereichen keine wissenschaftlichen Maßstäbe angewandt werden sollten.

Spiegel: Das BfArM beschäftigt rund 1100 Mitarbeiter, darunter viele Naturwissenschaftler, Ärzte, Pharmakologen. Wie muss man sich die Stimmung in einer Behörde voerstellen, in der so viele hilflose Experten arbeiten?

Steffen: Natürlich frustriert das. Viele Mitarbeiter versuchen trotzdem, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zu unternehmen. Aber es gibt eben auch Kollegen, die davon überzeugt sind, dass die Sonderrechte für Homöopathie und pflanzliche Arzneimittel richtig sind […]

Spiegel: Was müsste sich ändern, damit bei den Medikamenten endlich die wirksamen Mittel von den Zauberpülverchen getrennt werden.

Steffen: Der Patient muss krtischer werden. Mein Tipp lautet: Wenn Sie bei einem Arzneimittel lesen, es sei „mild wirksam“, dann heißt das übersetzt: „Wirksamkeit ist gleich null“.

„Traditionelle Anwendung“ bedeutet, dass trotz jahrzehntelanger Anwendung keine ausreichenden Belege für die Wirksamkeit gefunden wurde.

Außerdem sollten die Krankenkassen nur bezahlen dürfen, was auch nachgewiesenermaßen wirkt.

Tja, „sollten“.

Tatsächlich aber gibt es so kranke Kassen wie die BKK Pfaff, die allen Ernstes Homöopathie „selbst bei schweren akuten oder chronischen Erkrankungen“ empfehlen.

Zu Recht schreibt das INH von der „dreistesten, gefährlichsten und atemberaubendsten Homöopathie-Propaganda einer gesetzlichen Krankenkasse“.

Die Homöopathie-Märchen werden nicht nur von den Herstellern des Zuckerzeugs verbreitet.

Zum Weiterlesen:

  • Pharmakologe über Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel: „Da wird oft gelogen, was das Zeug hält“, Spiegel+ am 22. November 2019
  • Die Homöopathie und der „Binnenkonsens“: Es ging nie um Wirksamkeit, nur um Politik, GWUP-Blog am 15. September 2019
  • Jetzt ist es raus: Gut informierte Gesundheitspolitiker gaben die Homöopathie-Studie in Auftrag, GWUP-Blog am 16. November 2019

3 Kommentare

  1. Diese Freaks, die schreien „Big Pharma“, wissen wohl nicht, wie teuer und langwierig es ist ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, das auch seine Wirksamkeit unter Beweis stellen muß, was alle diese „milden“ und „traditionellen“ Mittel nicht müssen…sie müssen – im besten Falle – nur beweisen, daß sie unbedenklich sind.

  2. @ Ralf im Vollrausch:

    Viele normale Leute wissen sicher nicht, wie teuer inzwischen die Medikamentenentwicklung ist, aber die Homöopathielobby weiß es sehr wohl. Aber in diesem Streit spielt Wissen keine Rolle.

    Gerechtigkeitshalber muss man anfügen, dass allein die enormen Ausgaben für die Medikamentenentwicklung nicht bedeuten, dass Big Pharma zu den Guten gehört und die Produkte immer mehr Nutzen als Risiken haben, auch wenn dort viele gute und am Menschheitswohl interessierte Wissenschaftler arbeiten.

  3. Aus dem Inlay auf die Frage, bei welchen Krankheiten Homöopathie helfen könne:
    „Homöopathie kann bei allen Krankheiten eingesetzt werden.“

    Klar. Bei allen Krankheiten kann ich auch eine schwarze Katze am Schwanz herumwirbeln. Hat den gleichen Effekt. Mit billigem rhetorischem Move an der Frage vorbeigemogelt.

    Verlogene Bande.

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