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Das Berliner Ensemble und der Geomant: entstört oder gestört?

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Dolle Inszenierung letzten Sonntag beim Berliner Ensemble: Impro-Comedy mit einem „Geomanten“.

Die perfekt einstudierten Eso-Phrasen des Hauptdarstellers quittierte das Publikum mit lang anhaltenden Lachsalven – und sogar noch beim Nachbericht der Berliner Zeitung zieht es einem unwillkürlich die Mundwinkel nach oben:

Es ging […] um den schlechten Einfluss von Wasseradern, die sich vor allem aufgrund der elektronischen Theatertechnik von rechtsdrehenden positiven Quellen ins linksdrehende verwandelt haben, die Energie abziehen.

„Wir können das mental“, sagte der Heiler. Die stilisierte Wünschelrute, die er auf einem Partyfoto auf der Facebook-Seite des Theaters in der Hand hat, kam allein aus Gründen der performativen Nachvollziehbarkeit zum Einsatz.

Die Störungssituation am Haus hat sich jedenfalls als dramatisch erwiesen. Hartung [der Geomant] spricht von „ganz fatalen Werten“.

Viele neue und alte Mitarbeiter hätten sich nicht wohl gefühlt. Von Raum zu Raum, von Büro zu Büro zogen ihn die neuen Hausherren, um nach erfolgter Reinigung erleichtert aufzuatmen und von plötzlich gestoppten Kopfschmerzen zu berichten.“

Wirklich sehr spaßig – wenn die Nummer nicht ernst gemeint gewesen wäre.

Tatsächlich hatte Oliver Reese, der neue Intendant des traditionsreichen Theaters am Schiffbauerdamm, bei seiner Housewarming-Feier einen „Geomantiker aus Hannover“ namens Dr. Werner Hartung beauftragt, das Gebäude zu „entstören“ und zu „energetisieren“:

Erklärungen für lang zurückliegende Bühnenunfälle wurden mit seiner Hilfe gefunden und auch Reeses Büro wurde entstört. Negative Peymann-Energie, die nach 18 Spielzeiten unter diesem Intendanten noch in der Luft gelegen haben mag, sei bei dieser Reinigung auch gleich entfernt worden, so Hartung.“
Nun steht es Künstlern aller Art natürlich frei, ihre Spleens und Überspanntheiten zu pflegen.
Andererseits fragen wir uns natürlich schon, wie viel von den „mehr als 10 Millionen Euro“ an öffentlichen Zuwendungen, die das Berliner Ensemble jährlich kassiert, in diesen Mumpitz geflossen sind.
Und auch das Feuilleton – sonst für jeden Blödsinn zu haben – kommentiert die Aktion seltsam unentschlossen.
Der Einsatz Dr. Hartungs wirft aufwühlende Fragen auf. Steht nun ein Esoteriker an der Spitze des Hauses, in dem einst der V-Effekt praktiziert wurde? Dreht Brecht sich gerade im Grabe herum?
Was ist mit der Volksbühne, die einen Entstörer viel dringender nötig hätte? Dort hat man aber statt eines Geomantikers lieber einen Wachschutz engagiert in den vergangenen Wochen. Der sollte wohl auch Energien abwehren.“
Wenn man denkt, jetzt ist die Welt schon narrisch genug, dann passiert irgendwas in Berlin, das alle Erwartungen übertrifft […]
Was die Einweihungspartykultur angeht, hat Reese allerdings für Berlin neue Maßstäbe gesetzt. Da wird Chris Dercon mindestens das Orgienmysterientheater von Hermann Nitsch oder den exhumierten Salvador Dalí engagieren müssen, um bei seinem Einstand an der Volksbühne die Konkurrenz zu toppen.“
Der Münchner Abendzeitung will das Berliner Ensemble weismachen, das Ganze sei bloß ein Gag gewesen:
Reese hinge nicht der Esoterik an und Hartung habe auf schamanistische Praktiken im engeren Sinn verzichtet. Der Geomantiker sei mit dem neuen Team von Büro zu Büro gezogen.
Nach erfolgter Entstörung hätten Mitarbeiter von plötzlich gestoppten Kopf- und Rückenschmerzen berichtet. Aber auch das eher im Scherz.“
 Aha. Das nennt man dann wohl naive Kunst. Beziehungsweise: naive Künstler.
Anscheinend muss der neue Theaterchef erst noch lernen, dass Esoteriker vollkommen humorlos sind.
Auf der Facebook-Seite des „Geomantikers aus Hannover“ jedenfalls feiert man den angeblichen „Scherz“ bierernst und im üblichen Gestus der faktenbefreiten Selbstüberschätzung:
Also irgendwie dünkt uns das nicht wirklich nach einem Gag:
 
Sollten aber sowohl der Herr Intendant als auch der Herr Geomant wirklich Spaß verstehen, hätten wir da einen Vorschlag:
Ich hoffe mal, die Rechnung wird auch esoterisch gezahlt. Mit guten Wünschen. Und nicht durch die Steuer der Berliner.“

Und falls der besagte „Geomant/Rutengänger“ für einen kurzen Job mal wirklich gut bezahlt werden möchte (schlappe 10 000 Euro), kann er gerne bei unseren PSI-Tests seine „reproduzierbaren Erfolge“ unter Beweis stellen.

Zum Weiterlesen:

  • So ein Schmarrn: Die Wünschelrute, derStandard am 10. Dezember 2014
  • Warum Wünschelrutengehen keine Wissenschaft ist, GWUP-Blog am 17. November 2013
  • PSI-Tests 2017: Die geheime Kraft der Wünschelrute ließ zu wünschen übrig, GWUP-Blog am 9. August 2017
  • (Ver)Mutungen am Stollen: Wünschelrutengänger und ihre Suche nach Erzen, FSMoSophica am 16. Oktober 2014
  • Wünscheltute: Muter zwischen Vermutungen und Wirklichkeit, GWUP-Blog am 7. Februar 2015

17 Kommentare

  1. Das ist doch großes Theater: Peymann-Energie aus 18 Spielzeiten entstört und das Theater frisch energetisiert. Bestimmt haben die Zuschauer stehend applaudiert. Hätte man etwa ein Software-Update bestellen sollen?

  2. Wünschelrutengehen ist genauso wie die Homöopathie sehr gut als „Parawissenschaft“ entlarvt, aber das ändert nicht viel bei den Gläubigen.
    Solange noch viele Menschen beten und an einen Gott glauben, solange darf man keine Besserung erwarten.
    Man braucht nur die Nachrichten zu verfolgen und dann hört man immer wieder: Wir können nur beten…
    Beten wird keine Naturkatastrophen bezwingen und beten wird auch das Handeln von Menschen nicht beeinflussen…beten ist zwecklos…oder wie hieß es bei den Borg ;-)

  3. @Ralf:
    Zwei Hände die arbeiten, die schaffen mehr als tausend, die beten

  4. Hab die „Peymann-Energie“ nicht in meinem Physik-Buch gefunden, auch keinen Wikipedia-Artikel dazu.
    Bin ratlos.

  5. Die „Augsburger Allgemeine“ hat heute übrigens auch mit einem völlig unkritischen Artikel zum Thema Wünschelrutengänger den Vogel abgeschossen. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Hier der Link:

    http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-land/In-fremden-Schlafzimmern-unterwegs-id42533286.html

    Vorsicht! Kann hohe Dosen von Esoterik mit einem Schuss Schwurbelei enthalten…

  6. @ Michel: Es geht um die negative Energie, die der langjährige Intendant Claus Peymann in den 18 Spielzeiten seiner Tätigkeit dort hinterlassen haben soll. Man hat anscheinend die vom abgetretenen Chef hinterlassenen bösen Geister ausgetrieben und die Stätte für den neuen Chef gereinigt und „bespielbar“ gemacht.

    Wenn die Entstörung übrigens als Witz gedacht war, hätte ja auch ein Kollege aus dem Ensemble den Rutengänger geben können, oder? Schauspieler sind doch für solche Rollenspiele besonders qualifiziert, sollte man meinen…

  7. Und billiger wär’s auch gewesen!

  8. @ gnaddrig:

    Das Theater ist seit jeher voll von Ritualen und Aberglauben[1]. Da passt ein Rutengänger absolut ins Bild. Und die Austreibung des langjährigen Chefs ebenfalls.

    [1]
    Man mag es kaum für möglich halten, aber viele der Schauspieler glauben bis heute, dass es Unglück bringt, wenn jemand auf der Bühne (oder überhaupt im Theater) pfeift. Und sich vor einer Premiere Glück zu wünschen, indem man sich gegenseitig 3x über die rechte Schulter spuckt, ist ein heute ebenfalls noch weit verbreitetes Ritual. In England ist es streng verpönt, den Namen „Macbeth“ in einem Theater auszusprechen, das soll den Tod bringen.

    Hier noch jede Menge weiterer „ungeschriebener Theatergesetze“:
    http://www.soerenergang.de/Soeren_Ergang/Theaterglaube.html

  9. @ Bernd:

    Meine Taschenbuchausgabe von “ Kein Applaus für Podmanitzki“ ist zerfleddert und löst sich langsam aber sicher in seine Bestandteile auf, so oft habe ich es während der letzten 30 Jahre schon gelesen. Sehr empfehlenswert!

  10. Sie hätten einfach nur die Wasserhähne ordentlich zudrehen müssen ;)

  11. Zu nihil jie:
    Dass mit den einfach nur die Wasserhähne zudrehen bei Schauspielern ist nicht so einfach, die brauchen dafür ein DrehBuch.

    Manche sind so überdreht, dass sie schon wieder abgedreht sind, was letztlich zum durchdrehen führt.Scheinbar beste Voraussetzung um Intendant zu werden.

  12. Gestern bei „Lanz“… dort war wieder die Diskussion, ob man „Mathe, Physik und Chemie“ wirklich braucht…da kam das Argument, daß ein sprachlich talentierter Mensch, der aber schwach in Naturwissenschaften ist, kein Abitur machen kann…den Namen des Gastes weiß ich nicht, ist aber bestimmt nachzulesen, er scheint recht bekannt zu sein…der ehemalige Lehrervorstand Herr Kraus (ich glaube so hieß er), entgegnete aber richtigerweise, daß man von einem Abiturienten schon verlangen könnte, daß er eine breitgefächerte Allgemeinbildung hat, die auch die Naturwissenschaften einschließen.
    Mal ehrlich: Wenn jemand so sprachlich begabt ist, dann wird er doch auch so viel Intelligenz aufbringen können, um den Abiturstoff der Naturwissenschaften zu begreifen!?
    Mathematisch-naturwissenschaftlich Begabte müßen ja auch die Sprache in Wort und Schrift für das Abitur beherrschen ;-)
    Warum ich das schreibe? – Ganz einfach, wenn jemand eine breitgefächerte Allgemeinbildung hat, die auch die Naturwissenschaften mit einschließen, dem wird es – mMn – leichter fallen, zwischen Humbug und Realität zu unterscheiden.

    P.S Übersetzungsprogramme werden durch „künstliche Intelligenz“ immer besser und könnten vielleicht in nicht zu ferner Zukunft Dolmetscher ersetzen…aber Naturwissenschaftler werden wir immer brauchen…

  13. Hier ein Link zu einem Beitrag…ich konnte mich gar nicht entscheiden, unter welchem Beitrag ich den teile, so viele verschiedene Eso-Themen stecken da drinn. Ist eigentlich schon wieder einen eigenen Beitrag wert.

    https://www.sueddeutsche.de/panorama/elfen-ich-kann-ihnen-das-nicht-erklaeren-1.4083955

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