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Das Mittel der Wahl gegen Homöopathie und Co.: Zeit und Zuwendung für die Patienten

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Das Schluss-Statement von Dr. Benedikt Matenaer beim WestArt-Talk letzten Sonntag („Ich wünsche mir mehr Zeit für meine Patienten“) greift heute ein Journalist der Schweriner Volkszeitung auf.

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In seinem Artikel „Alles nur in homöopathischen Dosen“ schreibt der Gesellschaftskritiker Jan-Philipp Hein:

Patienten, die sich ernst genommen und gründlich untersucht fühlen, können ihre Heilungskräfte viel besser aktivieren als Patienten, die sich wie Fließbandware durch die Praxen geschoben fühlen. Das ist auch das Ergebnis vieler Studien.

Dieser Umstand begründet auch den Erfolg esoterischer Heilmethoden wie der Homöopathie. Die nachgewiesenermaßen völlig wirkstofffreien Kügelchen der Homöopathen helfen dem ein oder anderen eben doch, weil sie das i-Tüpfelchen einer langen Sitzung mit einem Heiler sind.

„Wie gerne würde ich meinen Patienten manchmal wirkungslose Mittel verschreiben, um den Placeboeffekt zu aktivieren“, sagte mir mal ein echter Mediziner. So etwas zahlt nur keine Krankenkasse.

Aber nicht nur Placebos wären wichtig: Homöopathen, Bachblüten-Therapeuten und andere Quacksalber könnten sofort einpacken, wenn die gesetzlichen Krankenversicherer, die immer noch den Löwenanteil der Patienten in ihren Mitgliederkarteien haben, endlich einen hocheffektiven Wirkstoff bezahlen würden: Zeit! […]

Der Patient will Zuwendung, sie gehört zu jeder guten Therapie. Sie wird dann etwas leichter verfügbar, wenn man sie als Homöopathie labelt. Vielleicht haben viele Ärzte unter ihr „Dr. med.“ auch deshalb „Homöopathie“ auf ihre Praxisschilder geschrieben. Die Kassen zahlen es schließlich immer öfter.

Das wäre eine Art Notwehr gegen die Zumutungen der Gesundheitspolitik und im Interesse der Patienten.“

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Dann wäre vermutlich auch die nächste Fernsehsendung zum Thema überflüssig:

Heiler oder Scharlatane?“

am Mittwoch (28. Oktober) um 20.15 Uhr bei rbb.

Zum Weiterlesen:

  • Alles nur in homöopathischen Dosen, SVZ am 24. Oktober 2015
  • SWR-Fernsehen: „Was taugt Alternativmedizin?“ mit Dr. Benedikt Matenaer, GWUP-Blog am 22. Oktober 2015
  • Ein „Bund“ zwischen Ärzten und Heilpraktikern? Das freut nur die Pseudomediziner, GWUP-Blog am 21. Juni 2015
  • Homöopathie, Ganzheitlichkeit und die sprechende Medizin, GWUP-Blog am 20. April 2013
  • Homöopathie: Wenn Skeptiker Hoffnungen zerstören, GWUP-Blog am 18. April 2013
  • Skeptiker als Pharma-Söldner? GWUP-Blog am 21. April 2013
  • Die absurde finanzielle Ungleichbehandlung von Ärzten und Heilpraktikern, GWUP-Blog am 18. Juli 2014
  • Homöopathie: Nicht Globuli sind entscheidend, sondern die ärztliche Zuwendung, GWUP-Blog am 18. Juli 2014
  • Alternative zu „Schulmedizin“ ist nicht Alternativmedizin, sondern bessere Medizin, GWUP-Blog am 11. Oktober 2015

8 Kommentare

  1. Ist ja alles „eh klar“, wie so oft. Die realistische Frage wäre, wie das ganze zu realisieren ist.

    In Krankenhäusern ist von 60 Stunden Wochen für Ärzten die Rede, die Gesundheitsversorgung ist jetzt schon alles andere als billig und trotzdem wird diese an allen Ecken und Enden kaputtgespart.

    Das Homöopathen und andere Quacksalber in den besser situierten Reihen stolze Summen verlangen und diese auch bekommen ist bekannt. Wie würde dies allerdings aussehen wenn auch die weniger zahlungskräftigen bedient werden sollen.

    Die Wahl der Alternativ-Medizin ist etwas was ich immer mit einem Elitismus verdiene, etwas was wegfällt wenn jeder (durch entsprechend höhere Kassen Beiträge) dieselbe Zuwendung erfährt.

    Nun gibt es die Besserverdienender, die dadurch keine gesellschaftliche Besserstellung erfahren und der Rest welche einfach unter zusätzlichen Kosten stöhnen würde.

    Wie wäre ein größerer Zeitaufwand pro Kassenpatient realisierbar, wo kommt das Geld her.

    Ein sinnvolles Konzept hätte wohl kaum etwas mit den jetzigen Kassenärzten zu tun.

  2. Die Ankündigung der erwähnten rbb-Sendung lässt in der Tat befürchten, dass sie „überflüssig“ ist: der Titel, der wieder einmal aus einer „falschen Alternative“ besteht (Heiler oder Scharlatane) und dem Versprechen, dass der Film die „Spreu vom Weizen trenne kann“, lassen vermuten, dass das Fazit der Autoren zur Alternativmedizin insgesamt positiv ausfallen wird.

    Aber vielleicht bin ich ja (aus Erfahrung) mit meiner Vorhersage zu voreilig, und wir können einen wirklich objektiven Bericht erwarten.

    Mal sehen, vielleicht erweist sich der rbb als weniger esoterikaffin als der SWR.

  3. @Warum müssen Ärzte das Bedürfnis von Patienten, sich mitzuteilen, bei einem Arztbesuch abdecken?

    Es gibt Beratungsmöglichkeiten zu allen Lebensthemen, kostenlos, meist niedrigschwellig, von unterschiedlichen Anbietern.

    Wird da nicht auch der Arztberuf überfrachtet, es sind schließlich nicht gleichzeitig Psychologen? Oder man entwickelt Modelle dergestalt, dass ein Psychologe oder Therapeut an eine Arztpraxis angeschlossen ist.

    Auf der anderen Seite wäre es schon wichtig, dass Ärzte lernen mit schwierigen kommunikativen Situationen um zu gehen, z.B. wenn es um lebensbedrohliche Erkrankungen geht.

  4. @npl

    Die nach meiner Ansicht wichtigste, weil anfälligste Gruppe, ist die der gesetzlich versicherten Tumorpatienten. Mein Vorschlag ist hier die Intensivberatung, die es momentan nur für Privatpatienten gibt (GOÄ Ä34). Das ist ein Beispiel für Ungleichbehandlung:

    https://blog.gwup.net/2015/10/11/alternative-zu-schulmedizin-ist-nicht-alternativmedizin-sondern-bessere-medizin/comment-page-1/#comment-56817

    Diese Position sollte für Kassenpatienten schleunigst eingeführt werden, besonders vor dem Hintergrund, dass immer mehr Mediziner nur noch in Teilzeit arbeiten wollen:

    http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64560/Aerztezuwachs-in-Bayern-kann-Versorgungsluecken-nicht-schliessen?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

  5. @Clemens Maier:
    Ist ein guter Punkt, obwohl ich sonst nichts vom amerikanischen Gesundheitssystem halte, ist dort die Akzeptanz höher wenn jemand zum Psychiater (und damit zu jemanden der ne passende Ausbildung hat) geht. Hierzulande ist das eher die letzte Wahl bevor die Klapse selbst sich auf den Weg macht.

    @Dr. Bertelsen:
    Das ist noch eine andere Dimension mit der ich mich gar nicht befasst habe.

  6. @Clemens Maier

    Könnte es sein, das die Atomisierung der Familienstrukturen hier eine mitentscheidende Rolle spielt? In einem großen Familien“verband“ kann jemand bei Krankheit leicht aufgefangen werden. Fehlt dieser „Verband“, dann bekommen Ärzte diese (mitunter überlebens-)wichtige soziale Funktion. Wir stehen mit den geburtenstarken Jahrgängen aber erst am Anfang einer Methusalem-Dramaturgie (lies Schirrmacher!). Vielleicht gibt es bald eine Empathie-App…

  7. Zur rbb-Sendung:

    Ein Heilpraktiker schlägt bei einer Nahrungsmittelunverträglichkeit eine – bei Heilern sehr beliebte – „Schrotschussverschreibung“ vor. Ein Paradebespiel für „therapeutische Polypragmasie“. Er diagnostiziert einen Vitamin-D-Mangel. Den hat fast jeder. Gefährlich: er propagiert neben vielen anderen Verfahren, „Frischzellentherapie“ – das kann tödlich enden, besonders bei Patienten mit allergischer Disposition. Die tödlichen Folgen einer solchen Behandlung habe ich selbst erlebt:

    http://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2012/02/08/insider-bericht/

    Es ist unfassbar, dass hier keinerlei Standards und keinerlei Doku-pflicht gilt.

    Eine Besserung trat bei der Patientin ein, nachdem sie ihre Ernährung auf „frisch gekocht“ umgestellt hatte. Sie ernährt sich damit bewusst oder unbewusst glutenfrei. Hier könnte ein Hase im Pfeffer liegen (siehe auch die neue GEO: „Ohne Gluten kein Weizenbrot“ S. 144)

    Der Patient mit der Schulterarthrose geht zur Heilerin und diese erzählt das immer gleiche Märchen von der „Fußlängendifferenz“. Das Ganzkörperstatik-Märchen. Also auch hier nichts neues. Die Schmerzen sind natürlich kurzzeitig weg, weil der Patient in dieser muffigen Souterrainpraxis wahrscheinlich schon durch olfaktorische Reize stark abgelenkt wird. Ablenkung wirkt analgetisch (S.45):

    http://www.dr-bertelsen.de/documents/prof1401_wiss_c_BERTELSEN-1.pdf

    Das angeordnete Muskelaufbautraining hat langfristig (selbstverständlich) zu einer Verstärkung der Muskelmanschette geführt und somit zu einer Beschwerdelinderung.

    Blankes Entsetzen: ein Orthopäde, der meint, Zuckerkügelchen können auf eine (minimal vorgewölbte) Bandscheibe einen dehydrierenden Effekt ausüben. Eine Vorwölbung der L4-L5 Bandscheibe dürfte sich bei sehr vielen Menschen finden. Es ist die sogenannte „Prädilektionsstelle“ für einen Vorfall. Schmerzen muss eine Vorwölbung nicht unbedingt verursachen. Sie können aber – z.B. nach Gartenarbeit (!) – kommen und auch wieder gehen. Sie können also auch vor dem Zuckerlutschen kommen und nach dem Zuckerlutschen wieder gehen. Oder auch nicht. Dann ist es eine Erstverschlimmerung und der Homöopath wechselt die Kugeln und gewinnt wieder Zeit.

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