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James-Bond-Spezial: Cold Reading Teil 1

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Fortsetzung von „Die Sache mit dem Beißer“

Freund oder Feind? Wer meint es ehrlich, wer spielt unserem Superagenten etwas vor?

Es sind nicht nur Waffen und Gadgets, die Bond das Überleben sichern.

Zum wichtigsten Handwerkszeug eines Agenten gehört angewandte Menschenkenntnis – also genau das, was auch „Hellseher“ und „Wahrsager“ für ihre Zwecke nutzen.

Und damit sind wir bei einem explizit skeptischen Thema, nämlich dem sogenannten Cold Reading oder „Learn to be a Psychic“.

Der US-Skeptiker Michael Shermer demonstrierte für eine Fernsehsendung (“Psychic for a day”), wie das geht:

Darüber haben wir hier („Medium für einen Tag“) und hier („Medium für einen Tag II“) berichtet.

Aber auch James Bond zeigt in vielen Filmen seine erstaunliche Fähigkeit zu Blitzurteilen, zum Beispiel in „Casino Royale“ – wo ihm allerdings die Finanzbeamtin Vesper Lynd kaum nachsteht.

Während der Zugfahrt nach Montenegro entspinnt sich folgender Dialog:

Bond: Dann wissen Sie ja Bescheid. Man spielt beim Poker nicht seine Karten aus. Man spielt sein Gegenüber aus.“

Vesper: Und Sie sind gut im Lesen von Menschen?“

Bond: „Ziemlich. Deshalb bin ich auch imstande, in Ihrer Stimme einen unterschwelligen Sarkasmus auszumachen.“

Vesper: „Jetzt bin ich mir sicher, dass mein Geld in guten Händen ist.“

Bond: „Sie halten es für keinen guten Plan, oder?“

Vesper: „Ach, es gibt einen? Ich hatte die Befürchtung, dass wir Millionen von Dollar und Hunderte von Leben in einem Glücksspiel riskieren. Was haben Sie sonst für Mutmaßungen, Mr. Bond?“

Bond: „Über Sie, Miss Lynd? Ihre Schönheit ist ein Problem. Sie befürchten, dass man Sie nicht ernst nimmt.“

Vesper: „So wie jede attraktive Frau, die halbwegs bei Verstand ist.“

Bond: „Stimmt, aber diese versucht es mehr als wett zu machen, indem sie maskuline Kleidung trägt. Aggressiver agiert als ihre Kolleginnen. Sie wirkt deshalb in bisschen verbissen.

Und paradoxerweise mindert das ihre Chancen, von ihren männlichen Vorgesetzten akzeptiert und befördert zu werden, die ihre Unsicherheit als Arroganz fehldeuten. Ich hätte normalerweise auf Einzelkind getippt – nur, wie Sie kleine Sprüche über Ihre Eltern übergehen, komme ich zwangsläufig auf Heimkind.“

Vesper: „Na schön. Ihrem Anzug nach waren Sie in Oxford. Oder sonst wo. Und glauben wirklich, Menschen würden sich so kleiden. Aber sie tragen ihn mit einer solchen Verachtung, dass ich vermute, Sie kommen nicht aus reichen Verhältnissen.

Das haben Ihre Studienfreunde Sie immer spüren lassen. Was bedeutet, dass Sie Ihr Studium bloß der Mildtätigkeit Dritter verdanken. Daher Ihr Minderwertigkeitsgefühl. Und da Ihre Einschätzung meiner Person auf Heimkind hinausläuft, vermute ich, Sie sind selbst eines. Oh, es ist wahr? Und es erscheint mir absolut schlüssig.

Denn der MI6 sucht labile junge Männer ohne soziale Bindungen, die andere über die Klinge springen lassen, ohne nachzudenken. Um Krone und Vaterland zu schützen. Sie wissen schon: Ehemalige SAS-Typen mit schlichtem Lächeln und kostspieligen Uhren. Rolex?“

Bond: „Omega.“

Vesper: „Wunderschön.“

Wären wir nicht in einem Bond-Film, sondern bei einem Mentalmagier, könnte man diese tiefe Einsichtnahme in die Persönlichkeit eines anderen Menschen fast für übersinnlich halten.

Und tatsächlich haben sich der Geheimagent und die Mitarbeiterin des britischen Schatzamtes wohl eine Technik angeeignet, mit der auch professionelle „Medien“ ihre Klienten verblüffen – ohne wirklich paranormale Kräfte zu besitzen.

Und Sie sind gut im Lesen von Menschen?“,

will Vesper von Bond wissen.

Diese ungewohnte Formulierung spielt auf das Cold Reading an, was wörtlich übersetzt „Kaltes Lesen“ heißt.

Cold Reading hat nur am Rande etwas mit Menschenkenntnis in dem Sinne zu tun, wie Zeitschriften und populäre Bücher sie uns lehren möchten. Entsprechende Artikel heißen dann „Durchschauen Sie Ihre Kollegen?“ oder „Testen Sie, wie treffsicher Sie bei Ihrer Menschenkenntnis sind“.

Ein Geheimagent (oder eine Wahrsagerin, ein Hellseher etc.) aber muss viel besser sein.

Er muss sein Gegenüber nicht nur einschätzen können, sondern auch dessen wahres Ich herauskitzeln. Er muss sich beliebt machen können, überlegen und zugleich vertrauenswürdig wirken. Er muss andere manipulieren, sie dazu bringen, sich ihm zu öffnen, von sich zu erzählen, Geheimnisse preiszugeben. Das erreicht man mit Cold Reading.

Dahinter verbirgt sich die Kunst, Fremde davon zu überzeugen, dass man alles über sie weiß – ohne sie je gesehen oder sich zuvor über sie informiert zu haben.

Entwickelt wurde Cold Reading von Psychologen, verfeinert von berufsmäßigen „Medien“, Mentalmagiern und Täuschungskünstlern. Aus diesem Grund ist außer in einschlägigen Fachkreisen kaum etwas über Cold Reading bekannt.

Deshalb möchten wir in drei abschließenden Folgen unseres Bond-Spezials anhand verschiedener Filmszenen erklären, wie das Ganze in der Praxis funktioniert.

Weiter zu Teil 2.

Zum Weiterlesen:

  • Angelo Stagnaro: Ex Nihil. Eine Anleitung zum modernen Cold Reading
  • Ian Rowland: The Full Facts Book of Cold Reading. Ian Rowland Limited 2008

Ein Kommentar

  1. Das war einer der grandiosesten Dialoge in allen James-Bond-Filmen, finde ich. Zieht daraus mal Eure Schlüsse! Bin ich Heimkind? ;-)

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