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Hildegard-Medizin: Da erschaudert der Teufel

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„Posaune Gottes“ ist ein Artikel im aktuellen Spiegel Geschichte über die Äbtissin Hildegard von Bingen überschrieben. In erster Linie gibt’s viel Biografie, erst gegen Ende einen kurzen Schwenk zur heutigen „Hildegard-Medizin“:

Beliebt ist indes heute noch die nach ihr benannte „Hildegard-Medizin“. Sie wurde 1970 von einem österreichischen Arzt erfolgreich herausgebracht; zumindest im Marketing stand der Mann der Namensgeberin nicht nach.
Der Würzburger Klostermediziner Mayer entdeckte allerdings frappante Widersprüche zum Original. Kurios sei etwa das propagierte ,Hildegard-Fasten‘. Im ganzen Werk der Benediktinerin fand Mayer dazu nur einen Satz: ,Das Fasten sollst du nicht übertreiben.'“

In der Tat wäre es wohl angebrachter, von „Hertzka-Medizin“ zu sprechen denn von „Hildegard-Medizin“. Gottfried Hertzka ist nämlich der Name jenes österreichischen Arztes, der gemeinsam mit dem deutschen Heilpraktiker Wighard Strehlow den Vertrieb eines Sammelsuriums an Pflanzenpräparaten, Edelsteinen, Nahrungsmittel, Kosmetika und sonstigen Bedarfsartikeln für „gesunde Lebensführung“ unter dem Signet „Hildegard-Medizin“ groß aufzog.

Mit den Schriften Hildegards hat dieser Versandhandel nur noch entfernt zu tun, desgleichen die Flut der Publikationen, die sich seit Mitte der 80er über den Buch´markt ergießt. Die Ratschläge und Rezepturen, die Hertzka und Strehlow in ihrer ,Großen Hildegard-Apotheke‘ für sämtliche nur denkbaren Erkrankungen vorlegen, entbehren jedes seriösen Wirksamkeitsnachweises“,

warnt der Psychologe und Sachbuchautor Colin Goldner in seinem Buch „Die Psycho-Szene“. Weitere Kritik aus medizinischer und historischer Sicht zitiert die informative Wikipedia-Seite zum Thema. Auch das Stiftung-Warentest-Nachschlagewerk „Die andere Medizin – Alternative Heilmethoden für Sie bewertet“ kommt zu dem Urteil:

Die Vermarktung des Namens Hildegard von Bingen und die Nutzung ihrer Schriften in einer Weise, die durch das Original kaum gedeckt ist, hat die wohl kenntnisreichsten Professoren dieser Materie zu einer öffentlichen Erklärung veranlasst: Die Versuche, eine durchaus berechtigte Naturheilkunde als ,Hildegard-Medizin‘ in die ärztliche Praxis und den Bereich der Apotheke hineinzutragen, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Das gilt insbesondere für die Edelsteintherapie Hildegards, „die ihre Vorstellungen meist aus visionärer Schau bezog“, schrieb Bernd Friede im Skeptiker 1/2002:

Die dort postulierten Wirkungen religiöser Entitäten auf das physische Befinden spiegeln das mittelalterliche Konzept der Einheit von seelischem und körperlichem Zustand wider. So heißt es im vierte Buch ihres Werkes „Physica“ („Von den Steinen“): „Gott hat in die Edelsteine wunderbare Kräfte gelegt (…) All diese Kräfte finden ihre Existenz im Wissen Gottes (..) und stehen dem Menschen in seiner leiblichen wie geistigen Lebensnotwendigkeit bei. (…) Jeder Stein hat Feuer und Feuchtigkeit in sich (…) Sie dienen dem Menschen als Segen und Heilmittel (…) Daher werden die Edelsteine vom Teufel gemieden und es erschaudert ihn bei Tag und bei Nacht“.

Die Anwendung der Minerale ist bei Hildegard von Bingen mit alchimistischen Ritualen und Magie verknüpft: Achat, vor dem Zubettgehen in Kreuzform durch das Haus getragen, vertreibe Diebe. Über den Topas schreibt sie: „Wenn jemand Fieber hat, grabe er mit dem Topas drei kleinere Gruben in ein weiches Brot, gieße reinen Wein in dieselben (…) und betrachte sein Gesicht in dem Wein (…) und spreche: „‚Ich sehe mich an wie in dem Spiegel (…), auf dass Gott dieses Fieber von mir vertreibe“.“

Den GWUP-Themeneintrag zu „Edelsteintherapie – Kristallmedizin – Lithotherapie“ finden Sie hier.

Zum Weiterlesen:

  • Werbung für Heilsteine unzulässig, wahrsagercheck.de am 3. April 2009
  • „Welchen Einfluss haben Steine, Minerale und Edelsteine auf den Menschen?“ Vortrag von Klaus Olschewski bei der 12. GWUP-Konferenz in Berlin
  • Mineralmagie und schwingende Kristalle, Skeptiker 1/2002

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