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Der Methadon-Hype: „Muster einer Verschwörungstheorie“

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Auch Wolfang Becker-Brüser, Herausgeber und Chefredakteur des industrieunabhängigen arznei-telegramm und Mitbegründer von Gute Pillen – schlechte Pillen, kritisiert die Plusminus-Propaganda für Methadon in der Krebstherapie.

Im gedruckten Spiegel (34/2017) spricht Becker-Brüser von einer „klassischen Verschwörungstheorie“:

Einerseits geht es um spektakulär klingende, aber wissenschaftlich wertlose Berichte über Leute, die angeblich längst hätten tot sein müssen – und andererseits um die böse Pharmaindustrie, die Studien an patentfreien, also billigen Medikamenten wie Methadon nicht finanzieren will.

Aus diesem Grund kochen die Emotionen hoch. Und diesen Druck spüren die Ärzte derzeit in den Praxen.“

Spiegel: Was spricht dagegen, die Frage, ob Methadon hilft, in einer wissenschaftlichen Studie zu klären?

Becker-Brüser: Die Deutsche Krebshilfe hat bereits signalisiert, eine klinische Studie zu fördern, in welcher der Einsatz von Methadon bei bösartigen Hirntumoren getestet werden soll.

Wenn in einigen Jahren seriöse Ergebnisse da sind, werden wir hoffentlich eine bessere Grundlage haben, den Nutzen und Schaden von Methadon in der Krebstherapie einzuordnen.“

Und die Deutsche Apotheker Zeitung schreibt:

In der aktuellen Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts setzen sich fünf Krebs-und Palliativmediziner sowie der Direktor der Apotheke des Universitätsklinikums Jena Michael Hartmann in einem Beitrag mit dem Titel „Methadon in der Onkologie: ‚Strohhalmfunktion‘ ohne Evidenz“ kritisch mit dem neuen Hype um Methadon als Wirkverstärker einer onkologischen Behandlung auseinander.

Sowohl Methadon als auch L-Polamidon (Levomethadon) bergen bei Tumorpatienten erhebliche Risiken, heißt es im Beitrag der Autoren um Jutta Hübner von der Klinik für Innere Medizin in Jena.

Sie begründen dies unter anderem mit der problematischen Pharmakokinetik des Wirkstoffs. Wegen der sehr langen Halbwertszeit dürfe die Dosis nur sehr langsam gesteigert werden.

Außerdem werde Methadon über CYP3A4 metabolisiert und könne deshalb zahlreiche Wechselwirkungen haben. In der Onkologie werde das Opioid in der Regel von schmerztherapeutisch erfahrenen Ärzten bei Palliativ-Patienten eingesetzt, die oft keine antitumorale Therapie mehr erhalten.

Die Einstellung auf das Medikament bedürfe einer engen, mehrfach täglichen Überwachung, die in den meisten Fällen nur unter stationären Bedingungen zu leisten sei. Beim Einsatz während aktiver antitumoraler Therapien sei das Risiko von Wechselwirkungen und dadurch bedingten gravierenden Nebenwirkungen möglicherweise deutlich höher.“

Zum Weiterlesen:

  • „Absurde Gegenwehr“? Plusminus befeuert weiter die große Methadon-Verschwörung, GWUP-Blog am 16. August 2017
  • Methadon: Unterdrückt die Pharmaindustrie ein günstiges, wirksames Krebsmedikament? GWUP-Blog am 20. Juni 2017
  • Methadon, Krebs und das Spiel mit der Hoffnung, Deus ex Machina am 16. August 2017
  • Methadon in der Krebstherapie: Nicht ohne Absprache mit dem Onkologen, aerzteblatt.de am 17. August 2017
  • Methadon: „Falsche Hoffnungen bei Krebs geweckt“, aerztezeitung am 22. August 2017
  • Methadon in der Krebstherapie: Wenige Onkologen berichten über positive Wirkung, aerzteblatt am 22. August 2017
  • Methadon: Ärzte warnen vor unkritischem Einsatz, DAZ.online am 21. August 2017
  • Methadon gegen Krebs? wissenschaft.de am 23. August 2017
  • Zehn Gründe, warum es keine „Krebs-Verschwörung“ gibt, GWUP-Blog am 8. Juli 2015

4 Kommentare

  1. „Krebskranke greifen in ihrer schwierigen Situation oft nach jedem Strohhalm.

    Die Verquickung der Verschwörungstheorie, wonach die pharmazeutische Industrie die Erforschung aus kommerziellen Gründen blockiere, mit suggestiv dargestellten Berichten über positive Wirkungen von Methadon auf Krebserkrankungen hat viele Betroffene veranlasst, die Behandlung mit Methadon von ihren Ärzten zu fordern.“

    http://gutepillen-schlechtepillen.de/methadon-gegen-krebs/

  2. Die vereinigte Unwissenheit vieler Medien und ihrer Konsumenten über Grundsätze wissenschaftlicher Forschung führt zu solchen haarsträubenden „öffentlichen Debatten“.

    Vor kurzem wurde ich mit dem Vorschlag konfrontiert, ob man nicht für die Methadon-Tumor-Forschung ein Crowdfunding initiieren sollte.

    Meine Antwort lautete ungefähr:

    Geld ist nicht die einzige Ressource, mit der in der Welt der Forschung sorgfältig umgegangen werden muss. Im Gegenteil kann eine mit Geld „gepushte“ Forschung zu einem bestimmten Thema dazu führen, dass vielversprechendere Ansätze auf der Strecke bleiben.

    Gerade in der Tumorforschung gibt es auf der untersten Ebene – der „theoretischen“ Plausibilitätsüberlegung – ständig neue Ansätze. Schon hier wird gefiltert, erst recht, wenn solche Dinge dann in ersten Laborstudien landen.

    Davon wiederum erweist sich die überwiegende Mehrzahl als unbrauchbar, gleiches gilt für die weiteren Stufen des Aussiebens.

    Das alles kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit und personelle Forschungskapazität. Deshalb sind scharfe Instrumente und genaueste Überlegung notwendig für eine Entscheidung, ob ein Forschungsvorhaben aufgelegt wird. Und keine Rufe aus dem Blätterwald.

    Wie der Beitrag oben ausführt, gibt es durchaus Ansätze, die eine Erforschung von Methadon als allgemeine Tumortherapie als nicht unbedingt prioritär erscheinen lassen.

    Wenn man natürlich in ständigem Misstrauen gegen „die Pharmaindustrie“ lebt -und nicht realisiert, dass nicht alle Forschung von ihr bestimmt und durchgeführt wird – z.B. verlangt der G-BA für eine Medikamentenzulassung mehr als die Anwendungsstudie des herstellers-, dann glaubt man natürlich gern solch wirklich „populistischen“ Beiträgen wie der – in diesem Fall erstaunlich beratungsresistenten – PlusMinus-Redaktion und ihrer schreibenden Exegeten.

  3. Na super! jetzt blödelt auch noch die Bundestagsfraktion der Linkspartei herum:

    Forschung zu Methadon zur Tumor- und Schmerzbehandlung

    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/133/1813354.pdf.

    Wie peinlich ist das denn?!

  4. @ borstel:

    „Wie peinlich ist das denn?!“

    Das Problem ist ja, dass es in der Bundespolitik kaum Ärzte in Spitzenpositionen gibt. Der letzte, den es gab (mein „lieber“ Ex-Kommilitone Philipp Rösler), hat sich ja ganz schnell auf den Posten des Wirtschaftsministers verkrümelt (und hat in der kurzen Zeit als Gesundheitsminister auch nichts Nennenswertes geleistet). Da fehlen einfach die Experten.

    Aber das die Linkspartei auf die „plusminus“-Verschwörungstheorie anspringt, überrascht mich nicht wirklich. Haben die nicht auch mal eine parlamentarische Anfrage wegen H.A.A.R.P. gestellt? Und wegen Schämtrehls?

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