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EuGH-Urteil: Präzedenzfall für Impfgegner?

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Erst gestern haben wir darüber geschrieben, wie Impfgegner Gerichtsentscheide umdeuten (konkret: ins Gegenteil verkehren) und für sich und ihre Fanbase instrumentalisieren.

Selbiges dürfte auch mit einem aktuellen EuGH-Urteil passieren.

Der Europäische Gerichtshof nämlich …

… erlaubte in einem waghalsigen Urteil französischen Gerichten, der Familie eines Mannes Schadenersatz zuzusprechen, der nach mehreren Hepatitis-B-Impfungen an Multipler Sklerose erkrankt war.“

Ein klassischer „Danach geschehen, aber nicht deswegen“-Fall.

Aus diesem Grund rief der EuGH-Beschluss bei Wissenschaftlern starke Kritik hervor. Die Psychologin Cornelia Betsch etwa, die sich wissenschaftlich mit den Motiven von Impfverweigerern beschäftigt, sagte dem Ärzteblatt:

Wird die Maßgabe aufgegeben, dass eine kausale Verbindung zwischen Impfung und Schadensfall nachgewiesen sein muss, damit es zur Anerkennung kommt, wird willkürlichen Behauptungen Tür und Tor geöffnet.

Impfgegner könnten diesen Fall als Präzedenzfall nutzen und sich darauf berufen, dass es keiner Evidenz bedarf, um einen Impfschadensfall zu proklamieren.“

Keine Ahnung von Garnix merkte an:

In der Absicht, Verbraucherrechte gegenüber Big Pharma zu stärken, hat sich das Gericht in einen verhängnisvollen Sumpf manövriert und es wohl nicht einmal bemerkt. Falsch abgebogen.“

Dem widerspricht indes der Gesundheitswissenschaftler Dr. Joseph Kuhn im Science-Blog Gesundheits-Check. Seiner Auffassung nach besagt das Urteil „mitnichten, dass jeder behaupten kann, was er will, und dann entschädigt werden muss“.

Und weiter:

Menschen, die überzeugt sind, einen Impfschaden erlitten zu haben, was in seltenen Fällen ja vorkommen kann, werden sich ermutigt fühlen, zu klagen. Das ist erwünscht.

Die Beweislast bleibt bei den Geschädigten und die nationalen Gerichte müssen die Beweisführung würdigen, daran hat sich nichts geändert. Der EuGH hat lediglich eine Beweisführung anhand von Indizien, der das französische Gericht gefolgt war, für zulässig erklärt.“

Eine potenzielle Signalwirkung auf die Impfgegner sieht Kuhn ebenfalls nüchern:

Impfgegner werden das Urteil in ihrem Sinne auslegen und „verkaufen“. Das hätten sie mit jedem anderen Urteilsspruch ebenso getan. Aber Urteile werden auch künftig von Gerichten gesprochen, die das EuGH-Urteil mit juristischer Fachkenntnis lesen, nicht von Impfgegnern.“

In der Tat ist es objektiv betrachtet so, dass Lanka, „der seltsame Guru der Impfgegnerszene“ (Kuhn), von seinem selbsterklärten Ziel, die gesamte Virologie sowie „den Irrglauben an das Masernvirus zu widerlegen“, weiter entfernt ist denn je.

Denn mit seiner realitätsbefreiten Eigeninterpretation des „Masern-Prozesses“ gibt Lanka sich immer weiter der Lächerlichkeit preis. In der Fachwelt. Und bei jedem Normalbürger, der lesen kann.

Zu Lankas willfährigen Claqueuren merkt Kuhn an:

Es wird vermutlich auch ein paar Leute geben, die jetzt behaupten, der EuGH hätte einen Zusammenhang zwischen Hepatitis B-Impfung und Multipler Sklerose bestätigt. Das ist falsch.

Aber ob es solche Zusammenhänge gibt oder nicht, wird auch künftig von der Wissenschaft festgestellt, nicht von Gerichten und schon gar nicht von irgendwelchen Spinnern.“

Zum Weiterlesen:

  • Anerkennung eines Impfschadens ohne wissenschaftlichen Nachweis, also einfach so? Gesundheits-Check am 3. Juli 2017
  • Der EU-Gerichtshof und die Kausalität: ein Desaster, Keine Ahnung von Garnix am 21. Juni 2017
  • Quoth the Court of Justice of the European Union: “Let’s make it easier for plaintiffs suing for ‘vaccine injury’ on dubious grounds to prevail!” Respectful Insolence am 22. Juni 2017
  • Terrible Decision from the Court of Justice of the European Union, NeuroLogika am 22. Juni 2017
  • Impfschäden: Urteil des Europäischen Gerichtshofs schafft keine neue Evidenz, Ärzteblatt am 27. Juni 2017
  • Urteil zu Impfschäden: Obwohl Beweise fehlen? FAZ am 3. Juli 2017
  • Impfschaden anerkannt, ohne Beweise, Zeit-Wissen am 27. Juni 2017
  • Masernvirus und Impfungen: Die Irrungen des Stefan Lanka, GWUP-Blog am 2. Juli 2017

5 Kommentare

  1. Stellungnahme der Dt. Gesellschaft für Virologie:

    http://www.g-f-v.org/stellungnahmen_detail

  2. Die Stellungnahmen von Medizinern (mit Ausnahme des Beitrags von Herrn Kuhn) sind streckenweise auch nicht von größerer Sachkunde getragen, als es eine Vereinnahmung des Urteils durch Impfleugner wäre:

    1. Die französischen Gerichte wenden französisches Recht und damit auch französische Beweislastregeln an. Es ist daher eine Frage des französischen Rechts, ob bestimmte Indizien für eine Verurteilung zum Schadensersatz ausreichen, wenn der wissenschaftliche (Kausalitäts-) Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Impfung und Schaden nicht geführt werden kann. Im Grunde geht es dabei um Beweiserleichterungen bzw. die Anforderungen an eine Beweislastumkehr. Es ist aber weder ungewöhnlich noch eine Besonderheit des Arzthaftungsrechts, dass die Beweislast „gedreht“ wird, wenn ein Kläger das ihm Mögliche getan hat, um einen Zusammenhang plausibel zu machen.

    2. Ob die Plausibilitätsanforderungen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts in Frankreich hier erfüllt (und tatsächlich so niedrig) sind, ist daher keine vom EuGH zu beantwortende Frage. Der EuGH ist ausschließlich zuständig für die Auslegung des EU-Rechts. Er muss daher nur entscheiden, ob die vom vorlegenden Gerichts formulierten Anforderungen des mitgliedstaatlichen Rechts an die Plausibilität eines Kausalzusammenhangs mit der grundsätzlichen Beweislast des Klägers nach Maßgabe des EU-Rechts (hier die „Produkthaftungsrichtlinie“ RL 85/374/EWG v. 25.07.85) vereinbar sind. Dabei berücksichtigt der EuGH zu Recht, das praktisch weder der „Vollbeweis“ des Kausalzusammenhangs noch der Vollbeweis fehlender Kausalität geführt werden können.

    3. In Deutschland gilt schon bislang, dass bei behaupteten Impfschäden eine (nicht näher spezifizierte) „Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs“ für die Anerkennung eines Impfschadens ausreichend ist (§ 61 Satz 1 Infektionsschutzgesetz – IfSG). Auch das Arzneimittelgesetz kennt eine allgemeine „Gefährdungshaftung“ für den Fall, dass das angewendete Arzneimittel „nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet [ist], den Schaden zu verursachen“; in diesem Falle wird ein Kausalzusammenhang (widerleglich) vermutet (§ 84 Abs. 2 AMG).

    4. Zusammengefasst: Der EuGH befasst sich nicht mit Impfschäden und das französische Recht bewegt sich im Rahmen allgemeiner Rechtsgrundsätze – viel Lärm um Nichts.

  3. @ Th. Koch:

    In einem Punkt muss ich Ihnen vehement widersprechen: Ich bin kein Mediziner. ;-)

  4. @Joseph Kuhn:

    Entschuldigung!

  5. In Österreich gilt für die Anerkennung als als Impfschaden, dass mehr dafür sprechen muss als dagegen. Also 51% spricht dafür- dann kanns ein Impfschaden sein, mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 49%.

    Im real life sind selbst eine Menge staatlich anerkannter Impfschäden medizinisch gesehen keine.
    Moderne PCR Diagnostik findet hier zB genetische Ionenkanaldefekte als ursächlich für eine schwere Epilepsie.
    Und die sog Impfschadensgutachten sind oft von erbärmlich schlechter Qualität.

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