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Homöopathie und Politik: Norbert Schmacke im Skeptiker-Interview

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In der Jungle World findet sich diese Woche ein feiner Artikel über die homöopathischen Zucker-Esoteriker:

JW

Und für den aktuellen Skeptiker (1/2016) haben wir den Bremer Gesundheitswissenschaftler Prof. Norbert Schmacke zu seinem Buch „Der Glaube an die Globuli“ interviewt.

Ein Auszug:

Skeptiker: Eine scharfe Reaktion auf „Der Glaube an die Globuli“ gibt es von dem homöopathischen „Krebsheiler“ Jens Wurster – den Sie allerdings schon in den Anmerkungen Ihres Buches als „unbelehrbar“ bezeichnen. Können Sie auch von belehrbaren Lesern berichten?

Schmacke: Es ist offenbar so, dass sich am ehesten diejenigen zu Wort melden, die entsetzt auf derartige Analysen reagieren. Ich habe aber auch eine ganze Reihe Zuschriften von Lesern erhalten, die sich für die klaren Aussagen und insbesondere den Hinweis auf die Verantwortung der Politik bedanken.

Indirekt habe ich daraus geschlossen, dass angesichts der Popularität von Homöopathie und Co. heute fast eine Angst davor besteht, klar und deutlich zu sagen, was von der Homöopathie zu halten ist.“

Ihr Buch dreht sich nicht mehr um die Frage, ob Globuli Placebos sind, sondern nur noch um die Konsequenzen, die aus dieser belegten Tatsache folgen. Unter anderem fordern Sie, den Begriff der „Besonderen Therapierichtungen“ aus dem Sozialgesetzbuch zu streichen. Wie stehen dafür die Chancen?

Mit Blick auf die bisherigen Auseinandersetzungen zwischen Kritikern der „alternativen“ Heilverfahren und der Gesundheitspolitik in vielen Ländern bin ich erst einmal skeptisch, ob es gelingen kann, die Einsicht zu wecken, dass es wirklich so ist wie in Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: Der hat ja gar nichts an.

Aber ich bin gespannt, wie unsere verantwortlichen Politikerinnen und Politiker reagieren, wenn sie jetzt direkt darauf angesprochen werden, wie es sein kann, auf der einen Seite das Hohelied der evidenzbasierten Medizin zu singen und auf der anderen Seite am bedingungslosen Bestandsschutz für Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie festzuhalten.“

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Was müsste denn konkret passieren, damit die absurde Ausnahmeregelung für die „Besonderen Therapierichtungen“ von Politik und Gesetzgeber auf den Prüfstand gestellt oder gar abgeschafft wird?

 Ich denke, zweierlei:

Zunächst müssten die fachkundigen Politikerinnen und Politiker der Aussage zustimmen, dass die doppelte Buchführung in Sachen „Besondere Therapierichtungen“ versus böse Schulmedizin wirklich nicht haltbar ist.

Zweitens, und das ist vielleicht der schwierigere Teil, müssten sie die Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier davon überzeugen, dass die Angst vor einem Weglaufen der Wählerinnen und Wähler zu anderen Parteien völlig unbegründet ist, da es ja – zur Zeit wohl noch mit Ausnahme der Linken im Bundestag – ein parteiübergreifendes Phänomen ist, einerseits auf die wissenschaftliche Begutachtung der Medizin zu setzen und andererseits auf den Binnenkonsens der Alternativmedizin“.

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Sie beschreiben am Beispiel der Schweiz, wie Druck und Lobbyarbeit über wissenschaftliche Tatsachen und ökonomische Vernunft obsiegen. Wie könnten umgekehrt Homöopathie-kritische Organisationen wie die Skeptiker und engagierte Einzelpersonen auf die Politik einwirken?

 Das Wichtigste ist vielleicht, den entscheidenden Punkt zu treffen, und das ist aus meiner Sicht die Frage der politischen Privilegierung: die ist unhaltbar und auch im politischen Diskurs nicht zu verteidigen.

Wenn Homöopathie, wie Dr. Jens Wurster glaubt, Menschen mit metastasierten Tumoren heilen kann, dann würde sich diese therapeutische Sensation in Windeseile in der Scientific Community herumsprechen und die Kritiker alt aussehen lassen.

Heißt: Wenn etwa Homöopathie nachweisbar funktionieren würde, bräuchte sie überhaupt keinen Schutzzaun, denn dann würde sie in der Evidenzbasierten Medizin aufgehen. Natürlich wissen die nicht ganz Unbedarften dieser Schulrichtungen aber ganz genau, wie wichtig gerade dieser Schutzzaun für sie ist.

Die zweite Auseinandersetzung ist mit den medizinischen Fakultäten, Ärztekammern und Krankenkassen zu führen, die solchen Unsinn mit Nuancen zulassen bis unterstützen. Vor allem die Universitäten müssen in die Pflicht genommen werden, sich auf wissenschaftliche Kriterien zu besinnen, statt auf Popularität zu setzen.

Diese Fronten sind allerdings, das muss man wissen, in der Geschichte der Medizin immer wieder aufgetaucht. Was mir aussichtslos erscheint, ist die Hoffnung, dass man das Vertrauen auf Strohhalme und Magie beenden kann.“

Zum Weiterlesen:

  • „Die Besonderen Therapierichtungen raus aus dem Sozialgesetzbuch“: Interview mit Norbert Schmacke, Skeptiker 1/2016
  • Magischer Kinderglaube, brand eins 1/2016
  • Homöopathie hat keine Zukunft, schon gar nicht in der Krebsbehandlung, GWUP-Blog am 5. Dezember 2015
  • Homöopathie: ein geschlossenes unwissenschaftliches System, GWUP-Blog am 4. November 2015
  • Gesundheitswissenschaftler kritisiert Homöopathie: kein Nutzen, ethisch unvereinbar, GWUP-Blog am 26. Oktober 2015
  • Buch-Tipp: “Der Glaube an die Globuli – Die Verheißungen der Homöopathie”, herausgegeben von Norbert Schmacke, Ratgeber-News-Blog am 20. Dezember 2015
  • DocCheck: „Globuspokus“ raus aus dem Sozialgesetzbuch, GWUP-Blog am 22. Februar 2016
  • Esoterik in Zucker, Jungle World am 17. März 2016

11 Kommentare

  1. Ein feiner Artikel, vielen Dank! Leider wird sich die Ansicht vieler Politiker zur „positiven Wirkung“ der Homöopathie nicht ändern, solange a) sie selber dran glauben (Barbara Steffens (NRW) z.B.), b) ihnen die Lobbyisten in den Allerwertesten kriechen (ich bin mal so drastisch), und c) sie Angst haben müssen, dass ihnen die Wähler doch die Gunst (aka Wählerstimmen) entziehen.

  2. @ RPGNo1:

    Ich fürchte auch, dass die Politik ihre schützende Hand weiterhin über den Binnenkonsens hält. Aber man kann ja zumindest immer wieder nachfragen, warum denn der Binnenkonsens nötig ist, wenn die Homöopathie doch angeblich nachweislich so gut hilft. Ceterum Censeo.

  3. Ich finde es hervorragend, daß endlich der nächste Schritt im Diskurs gewagt wird. Wir müssen nicht mehr drüber reden, ob Globuli wirken oder nicht. Wir müssen darüber reden, was wir für Konsequenzen daraus ziehen.

  4. @Joseph Kuhn: „Steter Tropfen höhlt den Stein!“ Und vielleicht tut sich in Sachen Homöopathie doch noch mehr, als man zuerst erhofft. Es hat ja auch lange gedauert, bis die Politik sich durchgerungen hat, das IQWIG zu gründen (und das trotz massiven Sperrfeuers seitens verschiedener Pharmaverbände).

  5. Gilt der Binnenkonsens eigentlich auch für Schüsslersalze obwohl nicht explizit erwähnt? Diese werden doch auf homöopathische Art hergestellt?

  6. @ roman: Schüsslersalzpräparate, die als Arzneimittel in Verkehr gebracht werden, müssen registriert (Mittel ohne Indikation) oder zugelassen (Mittel mit Indikation) werden, hier greift der Binnenkonsens im Arzneimittelrecht.

    Im Leistungsrecht der Krankenkassen fallen Schüsslersalzpräparate unter die Regelung für die „besonderen Therapierichtungen“, manche Kassen erstatten die Kosten.

  7. Danke @Joseph

  8. Weil es sonst gerade nirgendwo hin passt: DHU macht Werbung mit Mittel gegen Heuschnupfen, Medice mit einem Mittel gegen Erkältung. Weiß jemand, ob das so zulässig ist? Nach meinem Kenntnissstand dürfen homöopathische Mittel nur ohne Indikation vertrieben werden.

  9. Vielleicht sollte die Ansprache geändert werden?

    „Stiftung H. enthüllt: Betrug bei den Globulis (oder passendes Wort einsetzen)- Sie bestehen aus 100% Industriezucker!!!einself!!!“

    Darauf fahren die Leute eher ab.

    Ist von mir ernst gemeint.

  10. @ Ich: Siehe zwei Kommentare weiter oben. Wenn eine Indikation angegeben ist, sollte eine Zulassung und nicht nur eine Registrierung vorliegen. Viele homöopathische Mittel haben eine Zulassung.

  11. @Joseph Kuhn: Alles klar, vielen Dank!

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