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Wenn Heilpraktiker Arzt spielen: Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz vor Gericht

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Neue Heilpraktiker-Eskapaden – diesmal Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz:

  • Vor dem Landgericht München II hat heute eine Heilpraktikerin aus Starnberg ihre Berufung gegen ein Urteil des Starnberger Amtsgerichts zurückgezogen, nachdem die Richterin ihr bedeutet hatte, dass eine niedrigere Strafe keinesfalls drin sei.

Die Heilpraktikerin hatte einer Patientin das Medikament Levamisol ausgehändigt, um damit Fadenwürmer im Darm zu bekämpfen:

Das hätte sie nicht tun dürfen, da sie keine Ärztin ist und das Pulver obendrein auch noch verschreibungspflichtig ist. Viel schlimmer aber: Das Mittel ist nicht dafür vorgesehen, um Menschen zu kurieren. Es wird ausschließlich in der Tiermedizin angewandt.“

In Starnberg war sie deswegen zu einer Geldstrafe von 9100 Euro verurteilt worden.

Und obgleich die Münchner Richterin selbst die Heilpraktikerin-Prüfung hat (wie sie laut SZ erklärte), fand sie das Verhalten der 55-jährigen Angeklagten „schockierend“ und legte ihr nahe, auf die Berufung zu verzichten.

Schon in der ersten Instanz hätte keine Geldstrafe, sondern eine Freiheitsstrafe verhängt werden müssen, so die Vorsitzende.

  • In Aurich ist ein mehrjähriger Prozess gegen einen Heilpraktiker zu Ende gegangen, der einen Apotheker aus Essen angestiftet haben soll, ohne Wissen der Patienten das verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel Tetrazepam in ein selbstgemixtes Homöopathikum namens „Sedativa Forte“ zu mischen, um die Wirkung der homöopathischen Substanzen zu verstärken.

In der dritten Instanz wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 20 000 Euro jetzt eingestellt.

Im Juli 2012 hatte das Amtsgericht Aurich den 54-Jährigen zu acht Monaten Bewährung und 25 000 Euro Geldauflage verurteilt. In einem Berufungsprozess wurde der Heilpraktiker im September 2013 vom Landgericht Aurich freigesprochen. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Aurich Revision ein.

Das Oberlandesgericht in Oldenburg kassierte den Freispruch ein. Daher musste der Fall komplett neu verhandelt werden.

Der Apotheker ist bereits zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt worden. Außerdem wurde ihm die Approbation entzogen.

Eine Berufung des Apothekers lehnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ab. In dem Beschluss vom 10. Juni 2015 heißt es:

Die polizeilichen Ermittlungen hätten ergeben, dass in der Zeit von Januar bis März 2007 insgesamt 246 Patienten des Heilpraktikers F. durch den Apotheker mit tetrazepamhaltigen Sedativa-Forte-Kapseln versorgt worden seien.

Überwiegend seien 70, vereinzelt aber auch 100 Kapseln verordnet worden. Bis zur Durchsuchung der Apothekenräume im Juni 2008 seien insgesamt 19.050 Kapseln abgegeben worden.

Das Landeskriminalamt habe in den bei Patienten sichergestellten Kapseln einen Tetrazepamanteil von 4,7 mg je Kapsel festgestellt.“

Zum Weiterlesen:

  • Wurmkur mit schweren Folgen, Süddeutsche am 30. September 2015
  • Auricher Heilpraktiker muss zahlen, Ostfriesen-Zeitung am 26. September 2015
  • Tetrazepam in Homöopathikum, apotheke adhoc am 23. Juni 2015
  • Heilpraktiker-Unfug bei DocCheck: Was sagt das Patientenrechtegesetz? GWUP-Blog am 16. September 2015

11 Kommentare

  1. greift doch bitte mal auch diese unmögliche Werbung auf:

    http://www.wir-sind-tierarzt.de/2015/04/wie-weit-darf-werbung-gehen/

    es geht hier um Homöopathie-Werbung der Molkerei Berchtesgadener Land.

    Danke

    LG

    Guido Huber

  2. In einem Berufungsprozess wurde der Heilpraktiker im September 2013 vom Landgericht Aurich freigesprochen. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Aurich Revision ein.

    Kennt zufällig jemand das Aktenzeichen dazu? Ich wüsste echt gerne mit welcher Begründung genau ein Gericht es fertig bringt eine solche Person freizusprechen (davon ausgehend, dass die Beweislange klar genug war/dass nicht 1. und 3. Instanz Mist gebaut haben).

  3. @Seb:

    AZ weiß ich nicht, aber einem Bericht dazu heißt es:

    „Richter Heinz-Dieter Mündel sagte in seiner Urteilsbegründung, dass man keine Umstände gefunden habe, die den Angeklagten ausreichend stark hätten belasten können. Im Wesentlichen habe man die Frage beantworten müssen, ob der Heilpraktiker den Apotheker zur Beimischung angestiftet habe. Dieser Sachverhalt habe sich nicht aufklären lassen.“

    http://www.oz-online.de/-news/artikel/115299/Freispruch-fuer-Heilpraktiker-aus-Aurich

  4. @Seb @Bernd Harder

    Tja, wenn die Erstinstanzen Beweiserhebungsfehler fabrizieren, dann iss schlecht.

    Was ganz anderes im Zusammenhang der Justiz: Eine Richterin mit Heilpraktikerprüfung??? Die Juristenausbildung ist zwar keine Naturwissenschaft (Medizin…?), aber doch so von Sachlogik und Evidenz geprägt, dass mir dabei aber auch ganz komisch wird…

  5. Hier der Link zum Volltext des Urteils, mit der die Berufung des Apothekers nicht zugelassen wurde:

    http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE150001814&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

    Hier wird klar festgestellt, dass der Heilpraktiker und der Apotheker „übereingekommen“ sind, das Schüttelwasser mit Tetrazepam (rd. 5 mg/Kapsel, schon ganz nett) zu versetzen. Hier macht der Richter im Verfahren gegen den Heilpraktiker den winzigen Steppschritt zum Begriff „angestiftet“. Juristisch ein erheblicher Unterschied, denn nur mit der Anstiftung wäre die Täterschaft gegeben. Ansonsten ist Täter der Apotheker, da er die tatrelevante Handlung ausgeführt hat. 26 StGB: Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

    Das ist natürlich eine mehr als freundliche Auslegung des zu vermutenden Sachverhalts. Für mich persönlich würde es ausreichen, wenn der Heilpraktiker aktiv an den Apotheker herangetreten ist. Das weiss ich aber nicht, nach den mir zugänglichen Informationen. Es ist wohl noch nicht alles im Nds. Justizportal eingepflegt.

  6. Es ist natürlich ein Unding, homöopathischen Mitteln einfach ein verschreibungspflichtiges Medikament beizumischen. Das Zeug wird nicht umsonst verschreibungspflichtig sein.

    Aber mal ganz davon abgesehen zeigt es sehr schön, für wie wirkungsvoll selbst Homöopathen ihre Mittel halten. Wenn man ein homöopathisches Beruhigungsmittel durch einen, ahem, Pharmachemiehammer aufhübschen muss, damit es wirkt, kann es mit dem homöopathischen Mittel ja nicht so weit her sein.

    Und dass das heimlich geschieht, also ohne die Patienten zu informieren, legt nahe, dass die Beteiligten sich durchaus darüber im Klaren waren, dass das erstens illegal (und gefährlich) war und zweitens ein unschönes Licht auf ihre verehrte Homöopathie wirft.

    Eigentor, genau das Gegenteil einer Win-Win-Situation.

  7. Er hat nicht einfach nur ein Medikament untergemischt, sondern sogar ein „schlechtes“: http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/news/2013/06/24/kein-tetrazepam-ab-1-august-2013/10401.html

  8. Ganz einfach,das Tetrazepam musste weg und man kam überein das das Homöopathen-Zeug einer „Veredlung“bedurfte oder umgekehrt.
    Nur nix umkommen lassen ;-)!

    Da zeigen die Naturkundler mal Sinn für das praktische …. neeeneenee

  9. @ Martin Däniken

    Das Medikament wurde ja erst Jahre nach diesem Fall aus dem Verkehr genommen. Ich finde es aber interessant, dass ganz zufällig ein eher gefährliches Medikament verwendet wurde. Es hatte ja 2007 die gleichen Eigenschaften wie 2013.

    Aber einen Lacher auf Deinen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen :)

  10. Dann ist das doch ein „unerschütterlicher“ Beleg für die seherische Kraft der Homoöpathie ;-)

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