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„Fuck Belle Gibson“: Debatte über Pseudomedizin und die Kultur des magischen Denkens

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Das Eingeständnis von „Wellness-Guru“ Belle Gibson, ihre Kranken- und Heilungsgeschichte frei erfunden zu haben, ist ein weltweiter Aufreger.

Zeitungen führen medienethische Debatten zum Thema „Shaming Belle Gibson: how much is enough?“, Kommentatoren warnen davor, die 23-Jährige lebenslang zu stigmatisieren.

Vergleichsweise ungnädig reagieren vor allem Krebsexperten und Krebskranke auf Gibsons Enthüllungen.

Die Onkologin und Medizinjournalistin Ranjana Srivastava erklärt, dass sie vor einem Jahr ein Interview mit Belle Gibson abgelehnt habe, weil sie Gibsons Behauptungen „absurd“ fand und ihrem Buch kein öffentliches Forum bieten wollte.

Gibsons Verlag Penguin Books hat mittlerweile eingeräumt, die gesundheitsbezogenen Aussagen in Belle Gibsons

The Whole Pantry: 100 Recipes for Eating Deliciously, Getting Back to Basics, and Living a Well-Nourished Life“

nicht überprüft zu haben, da es sich lediglich um eine Sammlung von Rezepten handele.

Die Autorin Michelle J. Smith von der Deakin University kritisiert das als unverantwortlich und verweist unter anderem auf das Vorwort zu „The Whole Pantry“, in dem Gibson Pseudomedizin in Form von “nutrition, patience, determination and love – as well as salt, vitamin and Ayurvedic treatments, craniosacral therapy, oxygen therapy, colonics“ promotet.

Smith weiter:

Krebskranke zu ermutigen, ihr Vertrauen in ungeprüfte und unbewiesene Heilverfahren zu setzen, ist ethisch verwerflich, da falsche Hoffnungen geweckt werden und die Gefahr besteht, dass Patienten eine wirksame Behandlung deswegen abbrechen.

Mehr noch: Die Vorstellung, dass eine junge Frau ohne jede wissenschaftliche Ausbildung oder medizinische Kenntnisse eine Heilmethode für ihren Gehirntumor entdeckt, weil sie ein paar Stunden googelt (und dabei unter anderem auf die „entgiftende Wirkung von Zitronen“ stößt), ist einfach nur aberwitzig […]

Wie kann ein Verlag leichtfertig seinen Ruf aufs Spiel setzen, indem er Bücher veröffentlicht, deren Kernaussagen dermaßen weit entfernt vom aktuellen Kenntnisstand und bar jeder Evidenz sind?

Wie das Geständnis von Belle Gibson jetzt zeigt, bestand das Verwerfliche an der Veröffentlichung von „The Whole Pantry“ in einem großen Verlag darin, dass der weitreichende Einfluss von Buch und Autorin auf das Gesundheitsverhalten zahlloser Menschen auf nichts als unbelegten Behauptungen gründete.“

Anders als Penguin Books bedauert immerhin Bronwyn McCahon, die Herausgeberin von Cosmopolitan Australia, Belle Gibson nicht näher auf den Zahn gefühlt zu haben, als das Magazin ihr 2014 den „Fun Fearless Female“-Award verlieh.

Fühlen sich Wellness-Fans und Gesundheitsbewusste von Gibson lediglich „betrogen“ (wie die Lifestyle-Bloggerin Deliciously Ela), finden Krebskranke deutlichere Worte:

Fuck Belle Gibson“,

schreibt die Journalistin Xeni Jardin im Blog boingboing:

Zur Hölle mit der Kultur des magischen Denkens, die Belle Gibson hervorgebracht und aus ihrem Quatsch ein profitables Geschäft gemacht hat. Jahrzehnte echter Wissenschaft wurden ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass damit leicht beeinflussbare kranke Menschen einem tödlichen Risiko ausgesetzt werden.

Zur Hölle mit jedem, der das Phänomen Belle Gibson ermöglicht und daran mitverdient hat. Zur Hölle mit jedem, der ihre bescheuerten Drecksartikel an Leute wie mich weitergeleitet hat – an Frauen und Männer mit Krebs.“

Auch der Kolumnist JR Hennessy stellt Gibsons Auftreten in den Kontext der New-Age- und Esoterikbewegung:

Wir sehen hier die größte Sünde der New-Age-Quacksalberei: die Delegitimierung von Wissenschaft […]

Belle Gibson musste eine solche Geschichte erfinden, weil Esoterik stets von der Überschreitung aller Grenzen der Realität erzählt und alltägliche Wunder zum Marketing gehören.“

Die FAZ geht in ihrer Analyse noch einen Schritt weiter:

Sie traf einfach einen Nerv nach dem anderen. Sie sah einfach gut aus auf Fotos. Die Gerichte, die sie empfahl, ebenfalls. Sie verkörperte als Mutter und Digitalunternehmerin eine erfolgreiche Frau mit Kind und Karriere.

Sie hatte den Krebs, so sagte sie jedenfalls, nicht mit Bestrahlungen und Chemotherapien besiegt, sondern sanft und ganzheitlich. Das passte wunderbar zum Misstrauen, das viele Menschen der modernen Medizin entgegenbringen, und fügte sich in eine verbreitete Hoffnung auf Selbstheilung durch Detox und die richtigen Nahrungsmittel.

Belle Gibsons Gesundheitstipps ließen sich auch als Food-Blog konsumieren. Und als Resultat einer zutiefst authentischen Erfahrung.

Nur dass es diese Erfahrung nie gegeben hat.“

Skeptiker können die Causa Belle Gibson als Beispiel für das Verlogene, Realitätsferne und Anmaßende der Pseudomedizin verwenden.

Dass Verleger und Konsumenten viel daraus lernen, darf indes bezweifelt werden. Das Mai-Heft von natur & heilen etwa wirbt mit dem Titelthema „Sanfte Medizin – Homöopathie und Krebs“.

Zum Weiterlesen:

  • None of it’s true: Die Ikone der Alternativmedizin hat Krankheit und Heilung frei erfunden, GWUP-Blog am 23. April 2015
  • Erfundene Krebserkrankung Ein Millionengeschäft, aufgebaut auf einer Lüge, FAZ am 24. April 2015
  • A taste of Belle Gibson or Dr Oz’s star power isn’t worth a doctor’s integrity, The Guardian am 23. April 2015
  •  „Wellness Guru“ Belle Gibson lied about having brain cancer, profited from lying about bogus cancer cures, boingboing am 22. April 2015
  • Annabel Crabb: I won’t join the Belle Gibson lynch mob, dailylife am 26. April 2015
  • Belle Gibson’s cancer lie is the tedious fulfilment of New Age thought, The Guardian am 24. April 2015
  • Belle Gibson’s book publisher never verified cancer survivor’s health claims, The Guardian am 11. März 2015
  • An honest account of our experience with Belle Gibson, Cosmopolitan am 17. März 2015

10 Kommentare

  1. Vergiss nichts! Vergib niemanden!

  2. „Fuck Belle Gibson“…bei dem Aussehen, könnte man das falsch verstehen ;-)
    (Es gab viele andere Kommentar-Varianten, die mein „Über-Ich“ zensiert hat :-))

  3. @Ralf:

    << die mein "Über-Ich" zensiert hat :-<< Besser so.

  4. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gesundheits-und-food-blogger-und-der-ernaehrungsirrsinn-13599281.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

    Die Dame war neben anderen Thema in einem Artikel über Ernährungswahnsinn.

    Interessant darin auch der Hinweis auf die Regelwut und due schematische Einteilung in Gut und BÖSE.

    Da weiß man wenigstens ( wie früher bei der Kirche) woran man sich zu halten hat, interessant ist natürlich das Böse. :-)

  5. an wen kann man sich eigentlich wenden, wenn man „indirekt“ betroffen von Belle Gibson ist? wenn ein angehöriger ihr geglaubt hat, die chemo abgebrochen hat, ihre „diät“ machte und gestorben ist? gibt es eine sammelklage? ich danke euch sehr für den Artikel!!!

  6. @uta:

    Tut mir Leid, davon ist mir zumindest nichts bekannt.

    Ruft sie denn irgendwo ganz konkret dazu auf, eine medizinische Behandlung abzubrechen?

    Hier gibt es eine allgemeine Betrachtung des Für-und-Wider rechtlicher Schritte gegen sie:

    http://lawgradinpink.blogspot.de/2015/05/legal-action-against-belle-gibson-is.html

  7. Lieber Bernd,

    Du hast recht, es ist eine absolute Grauzone und der Verlag sollte meiner Meinung nach auf jeden Fall in die Pflicht genommen werden. Was man verlegt, muss man prüfen.

    Wo ist die Grenze zwischen „passiv“ und „aktiv“ zu setzen? Mit ihrer massiven PR-Kampagne ist sie aktiv vorgegangen. Sie hätte wissen müssen, dass sie Menschen damit beeinflusst. Sie wurde sicher auch von einigen „alternativen Krebsheilern“ als leuchtendes Beispiel genutzt. Auch das hätte sie wissen müssen.

    Es haben sich sicher auch einige direkt an sie gewandt.

    Berthold Brecht hat gesagt: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.

    Sie wusste, dass sie durch ihre „Diät“ nicht „geheilt“ wurde und hat es trotzdem verbreitet.

    Herzliche Grüße
    Uta

  8. << Footage of the disgraced wellness blogger Belle Gibson that emerged during a federal court case against her has attracted widespread condemnation, raising questions about why her publisher did not more rigorously fact check her cancer claims. <<

    https://www.theguardian.com/australia-news/2016/sep/14/belle-gibson-video-submitted-to-court-sparks-condemnation-over-cancer-claims

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