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Esoterisches Ärzte-Bashing, Mythen und die Erwiderungen 1

| 11 Kommentare

„Pharma-Büttel“, „Dogmatiker“, „Wissenschaftsgläubige“ …

Keine Wortwahl ist Pseudomedizinern und Esoterikern zu abgegriffen, um Kritiker zu bekritteln.

Die amerikanische Ärztin Harriet Hall (The SkepDoc, Science-Based Medicine) hat „44 Doctor-Bashing Arguments“ zusammengestellt und jeweils eine kurze Replik dazu verfasst.

Hier eine freie Übersetzung der ersten zehn Erwiderungen:

Die Wissenschaft weiß auch nicht alles.

Stimmt. Aber die Wissenschaft weiß, dass sie nicht alles weiß, und deshalb forscht sie immer weiter, anstatt Wissenslücken mit Märchen und Nonsenserklärungen zu füllen, wie es in der Esoterik und Pseudowissenschaft üblich ist.

Es gibt auch andere Erkenntniswege als die Wissenschaft.

Sicher, zum Beispiel Intuition, Träume, Offenbarungen, Spekulationen, Nachdenken, Abstraktionen oder persönliche Erfahrungen. All das kann Menschen zu einem starken Glauben an etwas bringen. Aber bevor diese Überzeugungen nicht objektiv überprüft worden sind, kann man keinesfalls davon ausgehen, dass sie die Realität widerspiegeln.

Um zu verlässlicher Erkenntnis zu gelangen, brauchen wir die wissenschaftliche Methode. Wissenschaft ist nichts anderes als ein effektiver Weg, um neue Ideen zu finden und zu prüfen, ob diese Ideen und Erkenntnisse auch richtig sind. Wenn sich herausstellt, dass die Idee falsch war, dann muss man sie verwerfen.

Wissenschaft ist doch auch nur ein Glaube.

Man „glaubt“ nicht an Wissenschaft – Wissenschaft ist ein methodischer Prozess, der ein begründetes und geordnetes Wissen hervorbringt.

Was gestern noch als „gesichert“ galt, ist morgen schon veraltet.

Das zeigt, dass Wissenschaft funktioniert. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind stets nur vorläufig. Das ist kein Mangel, sondern eine große Stärke und eine Garantie für die beständige Erarbeitung von neuem Wissen.

Pseudomediziner wie Homöpathen und andere dagegen argumentieren immer noch weitgehend gleich wie die Gründerväter ihrer Zunft vor zweihundert Jahren, obwohl unser medizinisches und biologisches Wissen heute ein völlig anderes ist.

Wissenschaft ist dogmatisch.

Wie kann Wissenschaft dogmatisch sein, wenn sich wissenschaftliche Erkenntnisse stetig ändern? Dogmatisch sind Esoteriker und Pseudomediziner, die unbeirrbar an längst überholten und vielfach widerlegten Behauptungen festhalten. Wissenschaft dagegen ist ständig in Bewegung und lebt von neuen Wegen und Ideen.

Skeptiker verteidigen stur den Mainstream.

Eigene Aussagen müssen fundiert sein. Es ist rational und vernünftig, sich nach den bestgeprüften und bewährten Thesen zu richten – also nach solchen, die mit wissenschaftlichen Methoden überprüft worden sind. „Mainstream“-Medizin basiert unter anderem auf Leitlinien, auf systematisch entwickelten Feststellungen und Empfehlungen von Expertengremien.

Etwas Besseres haben „Alternativ“-Mediziner nicht anzubieten, im Gegenteil: Pseudomediziner, Impfgegner, Verschwörungsgläubige und Esoteriker haben nicht wirklich verstanden, wie kritisches Denken funktioniert – es würde nämlich bedeuten, auch die Gegenpositionen zur „Mainstream“-Medizin nicht einfach so zu übernehmen, sondern auf ihre Plausibilität zu überprüfen.

Skeptiker sind voreingenommen gegenüber der Alternativmedizin.

Es gibt keine Alternativmedizin. Es gibt nur gute und schlechte Medizin, wirksame und unwirksame Verfahren. Deshalb sind Skeptiker tatsächlich voreingenommen – gegenüber unbelegten Behauptungen, die dem widersprechen, was wir sicher über unsere Welt und wie sie funktioniert wissen. Und gegenüber Quacksalbern, die Patienten falsche Hoffnungen mit unhaltbaren Versprechen machen.“
Skeptiker unterstützen einseitig die Pharma-Industrie.
Skeptiker ergreifen keineswegs einseitig Partei für „die Schulmedizin“, die auch in vielen Fällen Dinge macht, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Wir plädieren vielmehr für eine wissenschaftlich fundierte Medizin.
Da die Pharmaindustrie indes beständig im Fokus der kritischen Aufmerksamkeit steht und zahlreiche Organisationen und Initiativen den Gesundheitsmarkt und dessen Akteure beleuchten, beschränken sich die Skeptiker vornehmlich auf ihren USP „Pseudowissenschaften und außergewöhnliche Behauptungen“.
Ärzte fürchten die Konkurrenz von Heilpraktikern und Alternativmedizinern.
Die meisten Ärzte sind völlig ausgelastet. Sie haben keine Angst vor Mitbewerbern, sondern sorgen sich um Patienten, die von CAM-Vertretern nicht selten zu unwirksamen und teuren Behandlungen überredet werden und dabei ihre Gesundheit riskieren.“
Ärzte behandeln nur Symptome, nicht aber die wahren Ursachen einer Erkrankung.
Unsinn. Ein Patient mit Lungenentzündung wird nicht bloß nach den Symptomen wie Fieber, Husten und Schmerzen behandelt, sondern der Arzt versucht auch, den verursachenden Keim zu detektieren und zu bekämpfen. Bei einem Knochenbruch verordnet ein Arzt nicht bloß Ruhigstellung und die Kühlung der Verletzung, sondern er schient und behandelt den Bruch.
Der Vorwurf, Ärzte würden sich nicht den „wahren Ursachen“ zuwenden, rührt wohl daher, dass Pseudomediziner als Krankheitsursachen oft reine Phantasievorstellungen anführen, wie etwa eine verstimmte Lebenskraft oder einen gestörten Energiefluss.“


Zum Weiterlesen:

  • Defending Science-Based Medicine: 44 Doctor-Bashing Arguments … and Their Rebuttals, Skeptical Inquirer Volume 38.6, November/December 2014
  • Wissenschafter machen Fehler – Esoteriker nicht, NZZ Campus am 9. April 2014
  • False Hope Is Quack Docs’ Go-To Medicine, The Daily Beast am 13. März 2015
  • Wissenschaft – auch nur eine Religion unter vielen? Frischer Wind am 5. November 2010
  • Nochmal: Wissenschaft ist keine Glaubenssache, GeoGraffitico am 10. August 2010
  • Der große Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion am Beispiel von Uli Hoeness, Nachdenken bitte am 22. April 2013
  • Ist Wissenschaft dogmatisch? Astrodicticum simplex am 9. November 2012
  • Die Wissenschaft ist dogmatisch, Der Hellseher am 3. April 2013
  • Erfahrungsfundamentalismus in der Homöopathie, GWUP-Blog am 29. November 2012
  • Skeptiker als Pharma-Söldner? GWUP-Blog am 21. April 2013
  • Homöopathie: Unmögliches muss man nicht erklären, GWUP-Blog am 4. Februar 2011
  • Homöopathie: Parallelwelt ohne Naturgesetze, GWUP-Blog am 2. Februar 2011
  • Ist Homöopathie wirkungslos? Natürlich, daran ändert auch Professor Robert Hahn nichts, GWUP-Blog am 10. April 2015
  • Fehler – die große Stärke der Wissenschaft und der Alptraum der Esoteriker, GWUP-Blog am 11. April 2015

11 Kommentare

  1. Wissenschaft ist doch auch nur ein Glaube.

    Nein, denn ‚Wissenschaft‘ schafft Wissen und Glaube ist Nichtwissen, höchstenfalls eine Intuition, welche sehr subjektiv ist…und das ist die Stärke der Wissenschaft, sie ist objektiv, denn wahre Fakten sind objektiv und enthalten keine (dogmatische) Bewertung;

    aber trotzdem: es stimmt, daß man der Wissenschaft glauben muß, wenn man die Fakten nicht verstehet bzw deuten kann…

    aber jeder kann die Fakten prüfen, sofern er in der Lage ist und die das nicht können sollten besser schweigen oder sich denen anschließen, die die Behauptungen widerlegen können, aber auch in diesem Geschäft gibt es unzählige „Schwarze Schafe“…

  2. ESO-industrieller Komplemetärpapierknusperspass

    Ich möchte noch einmal betonen, was ich schon öfter formuliert habe:

    Eine wichtige Strategie ist es, vorrangig solche Praktiken zu verbreiten, an denen möglichst wenige Menschen persönlich höchsten „Energieausgleich“ abschöpfen können. Denn hier ist die Chance, möglichst viele Menschen von diesem Humbug zu überzeugen, naturgemäß viel größer als in der Öffentlichkeit, in der fast alle sogn. ESO-Schiffsschaukelbetreiber unmittelbarer Lächerlichkeit ausgesetzt sind.
    Der ESO-industrielle Komplex ist ein gutes Beispiel hierfür:
    Da nur ein geringer Prozentsatz selber überhaupt irgend etwas neues zu bieten hat, kann Fraumann mit dem immer wieder gleichem einfachsten Blödsinn vergleichsweise viele Artgenossen abzocken.
    Hinzu kommt, daß es im Grunde keinerlei Fach- oder Detailkenntnisse bedarf…

    Frei nach:
    https://www.antiveganforum.com/wiki/Kennen_Sie_Kaplan

    MfG Zum Horror noch die Gänsehaut M.

  3. @ Ralf:

    Dass man den fundierten Behauptungen der Wissenschaftler „glaubt“, hat aber nichts mit dem religiösen Glauben zu tun. Es ist eher so, dass „glauben“ mehrere Bedeutungen hat (siehe Duden) und ich in diesem Zusammenhang das Wort „vertrauen“ synonym verwende.

    Im Prinzip basiert der Wissenschafts-Betrieb auf Vertrauen, welches man anderen Ergebnisse entgegenbringt (natürlich mit kritischen Vorbehalt).
    Auf diese baut man dann die eigene Arbeit auf. Man würde Quellen nicht zitieren, würde man ihnen nicht ein gewissen Vertrauen entgegenbringen. Vielleicht weil diese auch etwas zu „kompliziert“ bzgl. der eigenen Fachkenntnisse sind (zumal die nötigen Mittel, Gerätschaften, Zeit usw. fehlen, um es ‚mal eben‘ zu überprüfen).

    Was die Wissenschaft angeht, bin ich ein in sehr sehr vielen Bereichen ein bekennender „Mitläufer“ :)

    Man erinnere sich an die gefälschte Studie aus Japan im vergangenen Jahr, in welcher angeblich Stammzellen einfach durch ein Säurebad hergestellt werden konnten.
    Ich fand diese Meldung einfach fantastisch, habe das geglaubt und auch herumerzählt. Es waren eben erst die entsprechend kompetenten Wissenschaftler nötig, um den Fake aufzudecken.

  4. Endlich ein paar klasse Textbausteine gegen Nullargumente in anstrengenden Diskussionen. Spart Zeit!

    Danke dafür!

  5. Ich bin Medizinstudent an einer sogenannten Elite-Universität in Deutschland kurz vor Ende des Studiums und muss leider feststellen, dass Medizin vielmehr einer Pseudowissenschaft und einem Glaubenssystem gleicht als einer Wissenschaft. Die oben aufgeführten Erwiderungen wirken – betrachtet aus der Innenperspektive – sehr naiv und gehen stark an der Realität vorbei.

    Ich bin beileibe kein Freund von Esoterik und hätte gerne eine Medizin, die tatsächlich wissenschaftlich arbeitet. In der Medizin wird allerdings eher Wissenschaftssimulation betrieben. Das heisst auf den ersten Blick sieht es der Form nach wissenschaftlich aus. Fängt man aber an die Primärliteratur zu lesen und die Quellen zu überprüfen auf der die Lehre und medizinische Leitlinien basieren, wird einem schnell anders. Als Student ist man noch in der komfortablen Lage über überdurchschnittlich viel Zeit zu verfügen und den Dingen etwas auf den Grund gehen zu können. In der Praxis tut das aber kaum ein Mediziner. Es wird auf die Korrektheit der in der Ausbildung(!) vermittelten Inhalte und auf die Verlautbarungen von Fachgesellschaften vertraut. Das was alle machen wird schon nicht falsch sein.

    In der Medizin wird nicht hinterfragt, kritisch gedacht und diskutiert, sondern unkritisch geglaubt was Professoren qua Autorität verkünden. Wissenschaftliche Methodik und Denken wird nicht vermittelt. Folglich funktioniert hier auch keine wissenschaftliche Selbstkorrektur. Wenn man Lemminge ausbildet, werden nicht nach Abschluss des Studiums auf einmal kritische Denker daraus.

    Die Lage spitzt sich aufgrund von wirtschaftlichen Interessen, die im Feld der Medizin operieren, noch zu. Interessenkonflikte und wirtschaftliche Verflechtungen sind an der Tagesordnung. Professoren, die mittlerweile in der pharmazeutischen Industrie arbeiten, bringen Medizinstudierenden ganz selbstverständlich die „richtige“ Pharmakotherapie bei.

    Umso wichtiger wäre es deshalb, dass Mediziner auch einer wissenschaftliche Ausbildung erhielten und lernen würden selber zu denken, selber Studien zu lesen und kritisch zu hinterfragen. Das findet nicht statt. Vielleicht gerade auch weil die Professoren in der Medizin trotz ihrer Titel selber keine Wissenschaftler sind, sich aber in Verkennung der Tatsachen dafür halten. Kein Naturwissenschaftler würde auf die Idee kommen sich selber auch noch für einen Arzt zu halten. Die Ärzte mit entsprechenden Titeln an der Uniklinik hingegen nehmen sich ganz selbstverständlich auch als Wissenschaftler wahr. Die wenigsten werden sich mit wissenschaftlicher Methodologie und Erkenntnistheorie im Selbststudium auseinandergesetzt haben. Bestandteil des Studiums ist es jedenfalls nicht.

    Dazu kommt, dass Primärdaten von Studien nicht verfügbar sind und nicht alle durchgeführten Studien überhaupt veröffentlicht werden. Medizin ist damit zu großen Teilen eine Geheimwissenschaft. Evidenz-basierte Medizin ist im Wesentlichen eine Worthülse. Neben großen wissenschaftstheoretischen Problemen des Konzepts EBM per se, ist es illusorisch zu glauben durch Aggregation selektiv veröffentlichter Daten objektive Erkenntnisse zu gewinnen.

    Die Kritik und die Begriffe „Pharma-Büttel“, „Dogmatiker“, „Wissenschaftsgläubige“ mögen von den falschen Leuten aus den falschen Gründen an die Medizin herangetragen werden. Sie sind aber viel zutreffender als man sich träumen lassen würde.

  6. @Simon:

    Völlig richtig.

    Wir kämpfen auch nicht primär *gegen* Alternativmedizin, sondern für eine *bessere* Medizin, welche die Verheißungen der „Alternativ“-Medizin überflüssig macht.

    https://blog.gwup.net/2013/04/21/skeptiker-als-pharma-soldner/

  7. Das „Problem“ ist vielleicht auch, daß der Mensch keine Maschine ist, sondern ein komplexes Wesen; das macht es der „Alternativmedizin“ leicht, da Niemand die Gesamtheit dieses Wesen versteht (zumal er auch einer dieser Individuen ist).
    Vielleicht hinken wir in der Medizin hinterher und sind in den anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen schon weiter – auf jeden Fall ist „Alternativmedizin“ nicht fortschrittlich, sondern rückwärtsgewandt.
    Die ganze „Apparatemedizin“, kann bei manchen Patienten zu einem Nocebo-Effekt auslösten und sie fühlen sich bei einem Heilpraktiker wohler, da er „menschlich“ agiert.
    Wenn man zum Arzt geht, dann kann man nie ausreden. Ich habe mal gelesen, daß ein Arzt nach ca. 20 Sekunden den Patienten unterbricht – natürlich ist das im Lichte der Kassenleistungen zu verstehen, aber das hinterlässt auch ein negatives Gefühl beim Patienten.
    Was Sie schreiben @Simon, lässt leider nicht auf Besserung hoffen…

  8. Mal wieder eine Studie zu Naturstoffen, die von Big Pharma knallhart unterdrückt worden ist … Nicht

    „Blaubeeren gegen Alzheimer-Symptome?
    „Superfood“ mildert Gedächtnisprobleme bei Patienten mit beginnender Demenz“

    http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-19953-2016-03-14.html

  9. Bzgl. „Ärzte behandeln nur Symptome, nicht aber die wahren Ursachen einer Erkrankung.“:

    Auf einem Schulungstermin zu homöopathischen Komplexmitteln hörte ich die wunderbare Aussage (in etwas sinngemäß):

    „Bakterien sind wie die Feuerwehr – diese verursachen nicht die Krankheit, sondern sind am Ort der Erkrankung, weil diese schon da ist.“

    So ein, naja, wie soll ich es nennen…vermutlich ganzheitlich oder so.

    Insgesamt ist bei einigen Paramedizinern das hauptsächliche Problem wohl der Glaube, der Menschliche Körper wäre perfekt und Gesund ohne schädliche Einflüsse durch was auch immer. Und wie üblich wird auch ausgenutzt, den erkrankten die Möglichkeit zu geben, die >Schuld< an der Erkrankung von sich zu weisen.

    Wenn es (nach GNM) die Beziehung, ein Verlust oder was auch immer ist, naja, 'nicht meine schuld'.
    An Beispielen wirren Verhaltens gibt es genug: Handystrahlen meiden, sich aber zwischen zwei Leiterplatten in ein elektromagnetisches Feld setzen, um zu gesunden: https://www.psiram.com/de/index.php/Skalarwellen

  10. Befreiend!
    Ich klebe mir diese Argumente über den Küchentisch und an den Monitor des PC.
    Gibt es die weiteren Argumente auch noch?

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