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Krebs-Scharlatane: Wenn Patienten den Tumor ärgern

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Noch heute und morgen gibt es den Stern (28/2014) mit der Titelgeschichte „Gefährliche Heiler“ zu kaufen.

Stern-Redakteur Dr. med. Bernhard Albrecht besuchte dafür mit der vorgeblichen Krebspatientin „Katja“ incognito 20 Heilpraktiker und Alternativmediziner.

Ein illustrativer Auszug:

Die Praxis des radikalen Chirurgieskeptikers John Switzer am Starnberger See in Bayern hat nichts mit dem gemein, was man sich unter einer Arztpraxis vorstellt […]

Der Arzt musterte Katja: „Sie haben den Tumor geärgert, indem Sie eine Probe daraus haben entnehmen lassen“, sagte er. „Wenn Sie meine Schwester wären, hätte ich lhnen das nicht geraten.“

So steige das Risiko, dass der im Körper streue. Deshalb sei auch die Operation so gefährlich […]

Der Starnberger Arzt überreichte uns dazu einen Artikel aus einem Esoterikmagazin. Darin bestätigten namhafte Krebsforscher diese Gefahren, sagte er.

Ich ging den Quellen des Artikels nach und gelangte zum Epidemiologen Michael Retsky an der US-amerikanischen Universität Harvard, der mit einem internationalen, hochrangigen Team von Fachleuten seit vielen Jahren die verborgenen Gefahren von Operationen bei Krebs erforscht.

Seine Hypothese: Unter bestimmten Umständen kann die Krebsoperation „schlafende Tochtergeschwülste“ im Körper früher erwecken – und so bei manchen Patienten die Lebenserwartung verkürzen.

Dabei spielten Entzündungsstoffe eine Rolle, die der Körper in Reaktion auf die OP-Wunde freisetze.

Die Wissenschaftler lehnen Operationen trotzdem keineswegs ab. Ihr Lösungsvorschlag ist verblüffend und passt nicht zu den Verschwörungstheorien vieler Alternativmediziner: Patentfreie Medikamente, die dem Aspirin verwandt sind, unterdrücken offenbar die unerwünschte Entzündung.

Unser Starnberger Arzt riet mit dem Hinweis auf diese Studie Katja vom Eingriff ab.

Ich wollte es genau wissen und schickte den Studienautoren die Angaben über unseren Tumor. Ihre Antwort könnte eindeutiger nicht ausfallen. Die Patientin müsse sich umgehend operieren lassen, so Co-Autor Romano Demicheli.

Und: „Solche Scharlatane müssten strafrechtlich verfolgt werden.“

Es ist das typische Muster, das mir im Laufe meiner Recherchen häufig begegnete.

Die Schulmedizin stellt Thesen auf, entdeckt neue Therapien, verwirft sie wieder oder erforscht sie weiter. Alternativmediziner picken sich heraus, was ihnen passt, und ignorieren den Rest.

Stattdessen bauen sie ein wolkiges Gebäude von Verschwörungstheorien, wobei im Zentrum immer die Pharmaindustrie steht – ein dankbarer Gegner, der eine große Angriffsfläche bietet.

Zwischenzeitlich hat auch das Deutsche Ärzteblatt den Stern-Artikel rezipiert.

Zum Weiterlesen:

  • Enthüllungsreportage: „Gefährliche Heiler“ im Stern, GWUP-Blog am 2. Juli 2014
  • Patientensicherheit: Fatale Beratung bei Brustkrebs, Dtsch Arztebl 2014; 111(27-28): A-1254 / B-1079 / C-1023
  • Homöopathie bei Krebs – es ist alles noch viel schlimmer, GWUP-Blog am 23. Juni 2014
  • Die dubiosen Geschäfte der Wunderheiler, Stern-Online am 24. März 2015

3 Kommentare

  1. „Unser erschreckendes Rechercheergebnis legt nahe, dass die Alternativmedizin stärker reglementiert werden müsste.“

    Hervorragende Reportage.

    Wir brauchen umgehend eine Reglementierung der Fortbildungskurse an den Ärzte- und Zahnärztekammern.

    Es ist nicht länger zu dulden, dass approbierte Ärzte lebensbedrohliche Beratungen verkaufen!

  2. @ Hans-Werner Bartelsen:
    Ganz meine Meinung.
    Approbierte Ärzte, die Homöopathie oder ähnliches anbieten sind nicht länger zu dulden!

  3. @Hans-Werner Bertelsen

    Ich hoffe auch, dass sich die Medien weiterhin und auch verstärkt damit befassen werden. In den letzten Jahren haben sich viele auf der Esoterikwelle jeglicher Ausprägung ganz schön treiben lassen. Meine Hoffnung in dem Fall ist auch, dass sie endlich mal vermehrt zur Besinnung kommen. Solche Artikel sollten keine singuläre Ereignisse blieben.

    Naja.. wir werden sehen…

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