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Homöopathie, Scientabilität und „die Suche nach dem Nichts“ in der Süddeutschen

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Drei Tage nach der FAZ greift auch die Süddeutsche Zeitung das Thema „Scientabilität“ auf.

Der Artikel „Auf der Suche nach dem Nichts“ beschreibt zunächst die Homöopathie erfreulich nüchtern:

Aus Sicht der empirischen Wissenschaft muss man nicht länger erforschen, ob die Homöopathie funktioniert. Die Sachlage ist mittlerweile eigentlich klar: Die Zuckerkügelchen haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine spezifische Wirkung auf den Organismus.

Das postulierte Wirkprinzip widerspricht den bekannten Naturgesetzen, eine andere Erklärung ist nicht in Sicht.“

Das von Dr. Christian Weymayr („Die Homöopathie-Lüge“) vertretene „Scientabilitäts“-Konzept dagegen kann der SZ-Redakteur Christian Weber zwar nachvollziehen:

Man überprüft ja auch nicht, ob Schweine aus eigener Kraft zum Mond fliegen können – obwohl das streng wissenschaftstheoretisch nicht unbedingt auszuschließen wäre.“

Dennoch sieht er das Ganze eher kritisch:

Nachdem die Forschungsfreiheit in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang hat, ist nicht zu erwarten, dass sich irgendein interessierter Forscher entsprechende Studien verbieten lassen wird […]

Die Forderung, Homöopathie nicht mehr nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu überprüfen, ist ein Schuss, der leicht nach hinten losgehen könnte.

Nachdem die Schulmediziner jahrelang wissenschaftlich harte Belege von den Homöopathen gefordert haben, soll man die Diskussion ausgerechnet dann einstellen, wenn diese mit den ersten einigermaßen brauchbaren Studien aufwarten?

So kann man Verschwörungstheoretiker glücklich machen, die ohnehin schon glauben, dass Schulmediziner und Pharmaindustrie eine angeblich sanfte und ganzheitliche Medizin verhindern wollen.“

Das ist gewiss nicht von der Hand zu weisen.

Im aktuellen Skeptiker (4/2013) nimmt Weymayr indes genau zu dieser Frage Stellung:

Das Konzept bedeutet nicht, dass nicht-scientable Maßnahmen nicht erforscht werden sollten. Sie sollen erforscht werden, da auch sichere Erkenntnisse nicht für immer sicher bleiben müssen.

Allerdings muss die Aussagekraft der Untersuchung ausreichend sein, um die sicheren Erkenntnisse ernsthaft erschüttern zu können.

So wie eine Fotografie die Existenz von Einhörnern nicht belegen oder widerlegen kann, ein Fernrohr kein Leben auf den anderen Planeten unseres Sonnensystems entdecken oder ausschließen kann, und eine Stoppuhr keine Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit messen kann, so wenig ist eine klinische Studie in der Lage, eine Wirkung homöopathischer Arzneien nachzuweisen oder zu widerlegen.“

Das trifft nicht zuletzt auch auf die Berner ADHS-Studie zu, die von Homöopathie-Anhängern immer wieder als methodisch einwandfrei und beweiskräftig angeführt wird, zuletzt etwa von Cornelia Bajic vom Deutschen Zentralverein homöopatischer Ärzte in einem Focus-Gespräch und sogar von der Pressestelle der Universität München:

Selbst die vermeintlich hochwertigen Arbeiten werden von Kritikern auseinandergenommen“,

schreibt die Süddeutsche dazu.

Stimmt.

Zum Beispiel von Dr. Norbert Aust in seinem Blog Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie.

Und in einem weiteren Punkt kann der SZ-Redakteur den Skeptikern vorbehaltlos zustimmen:

Sinnvoll ist […] die Forderung, dass Universitäten nicht länger ihren guten Namen mit der Einrichtung dubioser komplementärmedizinischer Lehrstühle und Studiengänge beschädigen sollten. Leider ist derzeit eher das Gegenteil der Fall. An vielen medizinischen Fakultäten blüht die vermeintliche Alternativmedizin.“

Zum Weiterlesen:

6 Kommentare

  1. In diesem Beitrag werden zwei wichtige Argumente genannt, die mir bei der Diskussion um Szientabilität oft zu kurz kommen.

    1) Freiheit der Forschung: Wenn jemand unbedingt noch eine Homöopathie-Studie machen möchte – bitte. Dann sollten wir als gute Skeptiker diese Studie auch konstruktiv / kritisch unterstützen, damit bekannte methodische Schwächen oder Fehler nicht zum x-ten Mal wiederholt werden.

    Nur sollten dafür keine knappen öffentlichen Mittel verwendet werden… da sollte ein entsprechend motivierter Forscher Drittmittel von den Herstellern der Homöopathika eintreiben.

    2) Aussagekraft: Angesichts dessen, wie stark die homöopathischen Grundhypothesen gesichertem Wissen aus Physik, Chemie und Biologie widersprichen, müsste die Homöopathie erst grundlegende Laborversuche produzieren, die dieses gesicherte Wissen erschüttern.

    Sofern das nicht geschieht, sind positive Studien wenig wertvoll – denn bei positiver Studie ist doch die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass irgendwo ein Fehler im Studiendesign vorliegt, der schlichte Zufall signifikante Ergebnisse produziert hat oder gar betrogen wurde.

    Solche Grundlagenversuche hat es im übrigen gegeben, leider waren die Experimente meistens schlecht durchgeführt oder nicht reproduzierbar.

    Das Dilemma ist in beiden Fällen, dass Homöopathie-Forschung dann nur noch von denen betrieben wird, die unbedingt zeigen wollen, dass „doch etwas dran ist“, und das die Ergebnisse nur noch in diesen Kreisen diskutiert werden. Nach aller Erfahrung resultiert daraus nicht die höchste Forschungsqualität.

    Schlussendlich ist das ganze aber auch eine Frage der PR. Denn seien wir ehrlich – der wissenschaftliche Disput um die Homöopathie ist doch längst entschieden. Sie wird deshalb noch untersucht, weil sie so populär ist.

    Das finde ich nicht grundlegend falsch. In Sachen Öffentlichkeitsarbeit müsste es uns aber gelingen, besser als bisher zu erklären,

    – wie (schlecht für die Homöopathie) die Studienlage wirklich ist,
    – warum Erfahrung nicht das gleiche wie Wissenschaft ist,
    – warum man die Widersprüche zur aktuellen Physik und Chemie nicht einfach mit dem Argument beiseite wischen kann, dass noch nicht alle Naturgesetze bekannt sind.

    Keine leichte Aufgabe.

    Zumal die Homöopathie durch ihre Außenseiterposition in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin schon Sympathiepunkte sammelt…

  2. @Philippe Leick:

    Gerne auch direkt bei der SZ kommentieren.

  3. @Philippe Leick
    Würde mich der Meinung von Bernd Harder anschließen, dem Kommentar ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen…

  4. Grundsätzlich stimme ich Christian Weymayr zu, dass absurde Behauptungen nicht wissenschaftlich untersucht werden müssen.

    Aber angesichts der enormen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Bedeutung der Homöopathie fast überall auf der Welt könnte es durchaus eine Ausnahme geben. Mit rationalen Argumenten ist es nämlich bislang nicht gelungen, den felsenfesten Glauben der Bevölkerung und des politischen Establishments an die Zuckerkügelchen auch nur ansatzweise zu erschüttern.

    Deshalb könnten wissenschaftlich absolut saubere und unangreifbare Studien durchaus ihre Berechtigung haben, um endlich mit eigenem, validen Datenmaterial sagen zu können „Es ist definitiv nichts dran und nichts drin.“ Doch wir müssen uns damit begnügen, unsaubere und von Gläubigen durchgeführte Studien zu zerpflücken. Das hat aber nur eine eingeschränkte Beweis- und Überzeugungskraft.

    Leider sind die Chancen auf eigene aussagekräftigen Studien auch aus anderen Gründen minimal, denn sie würden dem im Wissenschaftsbetrieb herrschenden Geist widersprechen. Schließlich will jeder Forscher etwas Neues finden und nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt.

    Das macht nicht viel her im Karrierekarussell. Da geht man doch lieber den sicheren Weg und lamentiert aus angemessener Distanz.

  5. warum komplexe Studien mit Patienten, um die Wirksamkeit homöopathischer Mittel zu beweisen?

    Denn das ist das, was die Homöopathie will. Sie hat doch schon das Endziel, welches sie nur noch beweisen will.

    Das ist so ähnlich wie Gottesbeweise, deren Ergebnis schon feststeht und man nur noch versucht, die passenden Methodik zu finden, die seien Existenz belegt.

    Die Homöopathie sollte doch erst mal die allerersten Hürden nehmen, auf deren sie sich stützt, und in dem Bereich den Beweis antreten: Wassergedächtnis und die Art der „Informationsübertragung“. Sie postulieren doch die Existenz ganz spezieller Informationen und deren Transfer.

    Solange diese Grundlagen nicht bewiesen sind, sind alle nachfolgenden Studien wohl eher sinnlos.

  6. Josef Mattes von der Mathematischen Fakultät der Universität Wien nimmt hier zum Vorschlag der Scientabilität Stellung.

    Er kommt nach ausführlichen Betrachtungen zu dem Schluss, dass das Konzept, klinische Studien nicht zuzulassen, wenn die Scientabilität nicht gegeben ist, das bewirkt, was sie gerade verhindern soll: dass die Wissenschaft unglaubwürdig wird.

    http://www.mat.univie.ac.at/~mattes/einreichung-ZEFQ.pdf

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