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Waldorf in Hamburg: Esoterik und „abstruse Ideen“

Gestern gab’s in Hamburg eine Pressekonferenz zu dem Schulversuch im Stadtteil Wilhelmsburg, bei dem Waldorf und staatliche Regelschule irgendwie zusammengekocht werden sollen.

Wie berichtet, hatte drei Tage zuvor GWUP-Mitglied André Sebastiani im Hamburger Senat eine Petition und einen Offenen Brief des GWUP-Wissenschaftsrats überreicht, in dem Hamburgs Schulsenator Ties Rabe aufgefordert wird,

… statt esoterischer Lehren ohne Wenn und Aber eine aufgeklärte, moderne und wissenschaftliche Weltsicht ins Zentrum der Schulbildung zu stellen.“

Bei der Pressekonferenz am Montag nahm Rabe dies zum Anlass, einen dummen Politiker-Spruch abzulassen: Es hätten …

… Gegner mit Schaum vor dem Mund versucht, das Ganze zu einem Glaubenskrieg zu machen.“

Nun ja, intellektuelles Urteilsvermögen scheint sich der SPD-Mann nicht nachsagen lassen zu wollen.

Der NDR ist offenbar ganz auf Linie und haspelt in seinem Bericht „Neue Waldorfschule in Wilhelmsburg“ nur verschämt etwas von „Protesten im Internet“.

Dafür redet RTL Klartext und erwähnt sowohl den Offenen Brief von „22 Forschern“ als auch die Kritik der Sektenexpertin Ursula Caberta, die von den Schülern der betroffenen Schule als …

… Versuchskaninchen des Hamburger Schulsenats“

spricht.

Auch Welt-Online schreibt in dem Artikel „Ein bisschen Waldorfschule für Wilhelmsburg“:

Nicht alle sind für Waldorfpädagogik in Wilhelmsburg. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) will das Projekt verhindern. „Die Waldorfpädagogik lässt zeitgemäße Pädagogik weitestgehend außer Acht“, so André Sebastiani. Stattdessen fuße sie auf der esoterischen Lehre der Anthroposophie von Rudolf Steiner.“

Die taz gibt ebenfalls den kritischen Einwänden der GWUP Raum:

Das Projekt ist hochumstritten. Der Bremer Grundschullehrer André Sebastiani lehnt den Schulversuch „aufs Schärfste ab“.

Er hat im Namen der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) in einer Onlinepetition rund 2.300 Unterschriften gegen den Schulversuch gesammelt.Er warnt davor, „esoterische und wissenschaftsfeindliche Ideen ins staatliche Schulwesen einzuführen“.

Alles in der Waldorfpädagogik, auch der Kunst- und Musikunterricht, fuße auf der anthroposophischen Lehre von Waldorf-Vater Rudolf Steiner.

Auch ein Brief von 22 Wissenschaftlern des GWUP-Wissenschaftsrats sei leider „völlig ignoriert“ worden, so Sebastiani. Darin heißt es, die anthroposophische Lehre enthalte ein Sammelsurium von antiaufklärerischen Ideen. So solle der Waldorf-Klassenlehrer „Künstler, Priester und höchste Autorität“ sein und das angebliche „Karma“ seiner Schüler durch „Hellsicht“ erkennen.

Die grundsätzliche Sorge der Kritiker: Es sei nicht möglich, nur die positiven Aspekte der Waldorfpädagogik herauszupicken. „Ein bisschen Waldorf geht ebenso wenig wie ein bisschen schwanger.“

Das Online-Magazin Telepolis veröffentlichte darüber hinaus heute ein Interview mit der Waldorf-kritischen Pädagogin und Autorin Irene Wagner:

Die anthroposophische Ideologie ist eine Verdummung der Menschen.“

Ein Auszug:

Frage: Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe hat am Montag den Waldorfschulversuch in Hamburg-Wilhelmsburg offiziell bekannt gegeben. Sie sind eine große Kritikerin der Waldorf-Schulen. Wie schlimm finden Sie es, dass die öffentliche Hand nun ein schulpolitisches Problem durch die Partnerschaft mit einer Waldorf-Initiative lösen will?

Irene Wagner: Ich finde es natürlich entsetzlich, dass diese Entscheidung getroffen wurde. Aber es bestätigt einmal mehr, dass die Anthroposophen sehr viel Einfluss haben. Hamburgs Bildungssenator hat vermutlich nicht die leiseste Ahnung, was er damit angerichtet hat.

Ich möchte bezweifeln, dass er auch nur ein einziges der pädagogischen Machwerke Rudolf Steiners oder eine andere Schrift von ihm kennt. Sonst müsste er wissen, dass sich das Konzept der Waldorfschule nicht mit dem Bildungsauftrag einer öffentlichen Schule vereinbaren lässt.

Ich muss allerdings auch sagen, dass selbst die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sich nicht für das Thema interessierte.“

Landesschulrat Norbert Rosenboom sagte am Donnerstag, als ihm die Petition gegen die Schule überreicht wurde, er werde keine anthroposophischen oder andere esoterisch gearteten Unterrichtsmethoden oder -inhalte dulden. Waldorf-Schulen sind ja zudem nicht alle gleich in ihrer Praxis und nicht dieselben wie zu Steiners Zeiten. Können da bei einer Zusammenarbeit unter staatlicher Aufsicht nicht die Vorteile überwiegen, gerade wenn es anscheinend um eine schwierige soziale Umgebung in Wilhelmsburg geht?

Es ist durchaus richtig, dass die Waldorfschulen nicht alle gleich sind. Auch die Staatsschulen sind nicht alle gleich. Dennoch bleiben die esoterischen Grundgedanken Steiners erhalten. Sie werden natürlich nicht in der Öffentlichkeit verkündet, das spielt sich „hinter den Kulissen“ ab, wie Steiner selbst formulierte.

Waldorflehrer sind an das Konzept von Steiner gebunden, es ist Teil ihrer Ausbildung. Die Sicht auf das Kind ist geprägt von abstrusen Ideen über Karma und Temperamentszuschreibungen.

Was dem Laien an Waldorfschulen gefallen könnte, ist nicht Steiners Erfindung, sondern stammt aus der Reformpädagogik. Die könnte man auch ohne den esoterischen Hintergrund praktizieren.

Ob der Herr Landesschulrat wirklich darüber wacht, dass keine esoterischen Inhalte und Methoden einfließen, wird sich zum Beispiel daran ablesen lassen, ob das esoterische Fach Eurythmie eingeführt wird. Es ist an allen Waldorfschulen ein absolutes Muss, ihm kann sich kein Schüler entziehen.

Dass der Staat eine esoterisch ausgerichtete Schule finanzieren soll, ist absurd und widerspricht den Grundsätzen einer öffentlichen Schule.“

Zum Weiterlesen:

  • „Die anthroposophische Ideologie ist eine Verdummung der Menschen“, Telepolis am 26. November 2013
  • „Ein bisschen Waldorf geht nicht“, taz am 25. November 2013
  • Ein bisschen Waldorfschule für Wilhelmsburg, Welt-Online am 26. November 2013
  • Ganztagsschule Fährstraße wird in Teilen zur Waldorfschule, RTL Nord am 25. November 2013
  • Neue Waldorfschule in Wilhelmsburg, NDR am 25. November 2013
  • Waldorf-Petition im Hamburger Senat überreicht, GWUP-Blog am 22. November 2013
  • Irene Wagner: Rudolf Steiners langer Schatten. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2012
  • Sybille-Christin Jacob/Detlef Drewes: Aus der Waldorfschule geplaudert. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2004
  • Waldorf-Kritiker: „Hamburg verletzt die Neutralitätspflicht“, Ruhrbarone am 28. November 2013

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