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Sind Ärzte Wissenschaftler?

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Im Wiener Journal, dem Magazin der Wiener Zeitung, ist Anfang November ein Themenspezial „Esoterik“ erschienen.

Zwei große Artikel von Elisabeth Hewson befassten sich kritisch mit dem Esoterikmarkt („Dinge zwischen Himmel und Erde“) sowie mit „eingebildeten Gefahren aller Art“ („Nur keine Angst!“).

Zu Letzteren zählt die Autorin dankenswerterweise auch „Erdstrahlen“ und „Wasseradern“:

Vor diesen „Wasseradern“, die den Schlaf stören und Krankheiten fördern sollen, braucht sich niemand zu fürchten: Es gibt sie gar nicht. Wasser wird vom Erdreich wie ein Schwamm aufgenommen und verteilt sich großflächig, die Vorstellung, dass da unter unseren Füßen viele Flüsschen fließen, ist völlig falsch.

Ganz abgesehen davon, dass ja dann auch Wasserleitungen „strahlen“ müssten, was sie nicht können, weil Wasser keine Strahlung aussenden kann, höchstens Feuchtigkeit: Die kann wirklich krank machen.“

Daneben gab es ein ausführliches Interview mit Prof. Ulrich Berger vom GWUP-Wissenschaftsrat.

Dieses ist jetzt online verfügbar.

Darin ging es unter anderem um die Frage, warum …

… hoch angesehene Mediziner die Homöopathie vertreten, verteidigen, sogar lehren?“

Bergers Antwort:

Ich finde das ja gar nicht so überraschend. Erstens sind das oft Ärzte, denen in der Praxis klar wird, dass es eine Nachfrage nach Homöopathie gibt. Wenn sie die anbieten, haben sie ein zusätzliches Einkommen. Das ist der rein kommerzielle Aspekt.

Der zweite ist folgender: Viele sind keine Betrüger, glauben selbst daran, einfach, weil sie keine wissenschaftliche Ausbildung haben. Es ist ja wenig bekannt, dass das Medizinstudium keine eigenständige wissenschaftliche Arbeit beinhaltet.

Der Dr.med.univ. ist, so seltsam das klingt, kein Doktorgrad, sondern ein Diplomgrad. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Mediziner keine nennenswerte wissenschaftliche Ausbildung haben. Insbesondere, wenn es um die Interpretation und Beurteilung von wissenschaftlichen Studien geht – und das geschieht meist über Statistik –, bewegt sich die Ausbildung auf einem sehr niedrigen Niveau.

Dieses Thema spielt im Studium fast keine Rolle. Wenn man sich als Mediziner nicht aus eigenem Interesse damit beschäftigt, lernt man es einfach nicht, sich kritisch mit Studien auseinanderzusetzen.“

Diese Passage forderte den Widerspruch von Prof. Anita Rieder, Curriculumdirektorin Humanmedizin der MedUni Wien, heraus.

In einem Leserbrief beklagt sie „die Unterstellung“, dass das Medizinstudium …

… nicht wissenschaftlich wäre beziehungsweise wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen wäre. Und das ist schlichtweg falsch.“

Das Thema hat Berger jetzt in seinem Blog Kritisch gedacht zur Diskussion gestellt, und zwar hier.

Zum Weiterlesen:

  • „Ich glaube an den mündigen Bürger“: Interview mit Prof. Ulrich Berger, Wiener Journal am 21. November 2013
  • Sind Ärzte Wissenschaftler? Kritisch gedacht am 22. November 2013
  • Warum Wünschelrutengehen keine Wissenschaft ist, GWUP-Blog am 17. November 2013
  • „Medizin ist keine Naturwissenschaft“, Astrodicticum simplex am 26. November 2010
  • Medizinstudium und Promotion: Dr. med. Dünnbrettbohrer, Süddeutsche am 17. Mai 2010
  • Flachforscher, Zeit-Online am 29. August 2011
  • Homöopathen und Dr. med. Dünnbrettbohrer, GWUP-Blog am 4. September 2011
  • Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin, GWUP-Blog am 2. Oktober 2013
  • Quacksalberei für Zahnärzte: eine Entscheidungshilfe, Kritisch gedacht am 21. August 2013
  • „Wo ist der Beweis?“ GWUP-Blog am 24. August 2013
  • Ernst’s Law, Edzard-Ernst-Blog am 23. November 2013
  • Kinderwunsch, Homöopathie und die Carstens-Stiftung, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 23. November 2013
  • Wissenschaft ist perfekt, StimmtHaltNicht am 23. November 2013

15 Kommentare

  1. Ich habe während der Diplomarbeit zur Erlangung des Dipl. Physiker das physikalische Praktikum für Medizinstudenten betreut (lassen wir gnädig den Mantel des Schweigens über dem Namen der Stadt).

    Ich hatte unter den stud. med. engagierte und begabte *Wissenschaftler*, die nicht nur richtig „nachkauten“, was ihnen vorgeführt wurde (es war ein Demonstrations“praktikum“, über dessen Sinn man lange diskutieren kann…), sondern auch sinnvolle und neugierige Fragen stellten, mehr wissen wollten und kritisch waren, aber die waren die Ausnahme.

    Die große Mehrheit war die Gruppe der „Nachkauer“, immerhin bemüht, es richtig zu machen, nur völlig kritiklos, keine Spur von Neugier – keine Wissenschaftler.

    Eine kleine Gruppe war noch nicht einmal dazu bereit, den Aufwand für fehlerfreies Nachkauen auf sich zu nehmen. Deren Ausarbeitungen waren unterirdisch: fehlerhaft, schlampig. Zu allem Überfluss waren sie noch uneinsichtig. Die hätten IMO nicht mal Krankenpfleger werden dürfen… Ich konnte Ihnen aber nur eine „Ehrenrunde“ mit der Aussicht auf einen „geht mir genauso am Arsch vorbei“ Betreuer verschaffen. (Leider waren auch unter meinen Kommilitonen schwache angehende Wissenschaftler.)

    In der ersten und in der letzten Gruppe waren fast ausschließlich männliche Studenten. Das ist ca. 30 Jahre her, also kein neues Phänomen. Heute sind meine Studenten vermutlich allesamt Ärzte. Und unter ihnen werden reichlich Quacksalber sein.

  2. @ Omnibus56
    Einigen Ihrer ehemaligen Studenten fehlte wohl auch die Leidenschaft…

  3. Mich wundert die Fragestellung.

    Natürlich MÜSSEN Ärzte auch Wissenschaftler sein – wie wollen/können/sollen sie sonst beurteilen, ob eine Therapie wirksam ist/sein kann oder nicht und den angestrebten, beabsichtigten Effekt hat/haben kann oder eben nicht?!

    Wie sonst kann man als Mediziner Studien/Angebote der Gesundheitsbranche („Schulmedizin“ und „Alternativmedizin“!) beurteilen, wenn nicht wissenschaftlich?
    Nach „Gefühl“, nach „Glauben“, nach Werbung in Hochglanzbroschüren/Videos?!

    Wenn schon die wissenschaftliche Ausbildung während des Medizin-Studiums so schlecht ist wie oben beschrieben – wie sieht es dann erst in den ärztlichen Fort-/Weiterbildungen aus?!

    Gnade uns (als Patienten) Gott, wenn z. B. die Mediziner, die den brasilianischen Geistheiler Joao de Deus unterstützen, tatsächlich an diese Scharlatanerie GLAUBEN !
    Und nicht „nur“ mitverdienen bzw. -abzocken wollen …!
    Oben so schön als der „rein kommerzielle Aspekt“ bezeichnet.

  4. @Beobachter:

    << wie wollen/können/sollen sie sonst beurteilen, ob eine Therapie wirksam ist/sein kann oder nicht und den angestrebten, beabsichtigten Effekt hat/haben kann oder eben nicht?! << Durch "Augenschein" natürlich - das ist ja die Diskussion um Homöopathie und Co., die wir hier seit Jahren haben, und das war auch der Hintergrund von Ulrich Bergers Antwort im Interview. Ärzte sehen sich *meiner Erfahrung* nach überwiegend als "Erfahrungswissenschaftler": "Ich SEHE doch, dass es meinen Patienten hilft", hat die Hausärztin meiner verstorbenen Mutter mich stets abgebürstet, wenn es um Homöopathika ging. Auf die Idee, dass meine Mutter ihr nie die Wahrheit gesagt hat, wenn sie sie nach der Wirkung ihrer Globuli gefragt hat, ist sie nicht gekommen. Und auch auf viele andere Punkte nicht, die ein "wissenschaftlich" orientierter Arzt wissen müsste.

  5. @ Bernd Harder
    „Auf die Idee, dass meine Mutter ihr nie die Wahrheit gesagt hat, wenn sie sie nach der Wirkung ihrer Globuli gefragt hat, ist sie nicht gekommen.“

    Ein sehr wichtiger Satz…
    und eine extrem traurige Aussage, die erschüttert!

  6. @Pierre Castell:

    Ja, ich denke, kein älterer Patient/Patientin wagt es, „dem Herrn Doktor“ oder „der Frau Doktor“ offen zu widersprechen oder etwas in Frage zu stellen oder zu sagen, dass etwas nicht geholfen hat.

    Das macht man nur zuhause.

    Das aber müsste doch eigentlich auch jedem Arzt klar sein.

    Oder anders gesagt: Auch das müsste ihm/ihr doch die „Erfahrung“ sagen …

  7. Man kann nur hoffen, dass bei zukünftigen Generationen der Ärzte einiges besser wird.

    Leider befürchte ich aber das Gegenteil und bin aufs Schlimmste gefasst.

  8. Meine ich das nur, oder gibt es heute immer mehr junge Ärzte, die selbst den „Dr.med.univ.“ nicht mehr machen.
    Ich meine, der „Arzt an sich“ ist kein Wissenschaftler, aber es sollten Ärzte in die Wissenschaft gehen.

    Das Grundwasser sich auf die Fläche verteilt, habe ich hier auch schon im Zusammenhang mit „Wasseradern“ geschrieben und auch, daß man in D nicht sehr viel Glück braucht, um mit einer Wünschelrute Wasser zu finden, da fast überall Grundwasser vorhanden ist.

  9. @ Bernd Harder

    Ja, der „Augenschein“ … ;-)

    Jetzt ist mir verständlicher, was mit der Frage gemeint war.

    Augenschein ist jedoch immer ein subjektiver Eindruck; jeder hat einen anderen.

    Objektive Kriterien wären doch besser …

    Ein guter, lang praktizierender Arzt ist natürlich auch „Erfahrungswissenschaftler“; im Sinne von Ansammlung von Vergleichsmöglichkeiten, Auswertung praktischer Erfahrungen, Häufigkeit von Erkrankungen u. ä.

    Aber kann da eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung bzw. Sicht nicht nur hilfreich sein, muss sie nicht Voraussetzung sein?

    Auch um den Patienten die richtigen Fragen stellen zu können?

    Die wenigsten Ärzte machen sich die Mühe und nehmen sich Zeit für eine gründliche Anamnese und Befragung des Patienten.

    Gerade alte Menschen erzählen/berichten dem Arzt nicht die Wahrheit (im Sinne von Tatsachen) oder lassen wichtige Punkte beim Beschwerdebild und bei den äußeren Umständen einfach weg. Oder es werden Ursache und Wirkung verwechselt.

    Das ist auch meine Erfahrung als Angehörige.

  10. @ Beobachter
    „Gerade alte Menschen erzählen/berichten dem Arzt nicht die Wahrheit (im Sinne von Tatsachen) oder lassen wichtige Punkte beim Beschwerdebild und bei den äußeren Umständen einfach weg. Oder es werden Ursache und Wirkung verwechselt.“

    Alte und/oder schwache Menschen haben in solchen Situationen zudem noch „Lampenfieber“ und können sich unter Zeitdruck des Arztes noch weniger mitteilen.

    Was ich niemals verstehen werde, ist, dass viele Ärzte gegenüber Patienten ihr Fachlatein verkünden und einen Befund erst auf ausdrücklichem Hinweis verständlich formulieren. Nicht jeder der Patienten hatte Latein in der Schule.

    Ein neues Problem ist auch, dass an deutschen Kliniken immer mehr ausländische Ärzte beschäftigt werden, die sich zwar unter den Kollegen mit ihrem Fachlatein bestens verständigen, aber im Gespräch mit Patienten dies leider überhaupt nicht können, da sie die deutsche Sprache nicht gut genug beherrschen. So sind (gefährliche) Missverständnisse vorprogrammiert…

  11. @ Pierre Castell

    So ist es.

    Zeitdruck, Medizinerdeutsch (-Latein), ausländische Ärzte mit Verständigungsproblemen – all das begünstigt gefährliche Missverständnisse.

    Bei alten Menschen muss eine Begleitperson dabei sein, die sich einigermaßen auskennt und erklären und „übersetzen“ kann.
    Besonders dann, wenn noch Schwerhörigkeit bei ihnen dazu kommt.

    Alte Leute sind dem Medizinbetrieb völlig ausgeliefert.

  12. @ Beobachter
    „Alte Leute sind dem Medizinbetrieb völlig ausgeliefert.“

    Und Menschen, die im Krankenhaus keinen Besuch bekommen bzw. niemanden haben, der sich um sie kümmert. Wer schwach, alleinstehend und im schlimmsten Fall noch alt ist, hat in einigen Krankenhäusern besonders schlechte Karten.

    Denn mir wurde in den letzten Jahren von verschiedenen Angestellten diverser Kliniken berichtet, dass solche Patienten „unaufmerksamer“ behandelt werden. Falls bei einer Operation was daneben geht, gibt es keine kritischen Angehörigen, die nachforschen könnten.

  13. Sehr interessante Fragestellung! Meiner Meinung nach können Ärzte Dübendorf wissenschaftlich tätig sein, indem sie mit ihrem Wissen über die Körperfunktionen eine Forschungsgruppe leiten. Gerade in der Medizin und in Bezug auf Krankheiten ist noch einiges an Forschung notwendig.

  14. Ohne Statistik keine gute Medizin. Doch gerade die kommt in der medizinischen Ausbildung zu kurz, kritisiert die angehende Ärztin Marlene Heckl.

    https://www.spektrum.de/kolumne/viele-aerzte-muessen-glauben/1543245

  15. Ärzte sind in erster Linie Menschen. Menschen, die wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse anwenden, um anderen zu helfen. Heute sind Ärzte,wenn ich an die Fallpauschale (Vergütungen von Leistungen im Gesundheitssystem) denke, auch noch Geschäftsleute(Ökonomen).Im letzteren Fall wird der Patient nur noch eine Ware,ein Durchlaufposten, den man mehr oder weniger gewinnbringend abrechnen kann. Medizin und Gesundheit für alle sollten nicht zu einem kommerziellen Geschäft von großen Klinikgruppen werden.Gute Medizin ist die Medizin die für arm und reich erschwinglich ist….

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