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„Spontane Selbstentzündung“ oder Kindesmisshandlung?

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Ein unglaublicher Fall von mutmaßlicher Kindesmisshandlung macht in Indien Schlagzeilen – und auch hiesige Medien berichten mittlerweile darüber:

Baby brennt von selbst? Indien rätselt über den kleinen Rahul.“

Darum geht’s:

Viermal soll der kleine Rahul in Indien angeblich von selbst in Flammen aufgegangen sein und schwere Verbrennungen erlitten haben. Die Ärzte des Babys stehen vor einem Rätsel.

Nach mehr als einem Dutzend Tests hätten die Mediziner noch keinen Hinweis auf die Ursache gefunden, berichteten lokale Medien.

Sie spekulieren, dass der drei Monate alte Junge aus einem Dorf im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu durch spontane menschliche Selbstentzündung verletzt worden sein könnte.“

Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte: Mit „spontaner Selbstentzündung“ hat die Sache nicht das Geringste zu tun.

Unter anderem deswegen, weil es dieses angebliche paranormale Phänomen gar nicht gibt.

Und auch den Spekulationen der Dorfbewohner über „böse Geister“ kann ich wenig abgewinnen.

Ähnlich äußert sich der amerikanische Neurologe und Skeptiker Steven Novella in seinem Blog NeuroLogica.

Novella schreibt:

Wenn ein Kind ohne ersichtliche Ursache immer wieder krank wird oder Verletzungen aufweist, muss es zur Beobachtung in eine Klinik gebracht werden. Treten dort keine weiteren Vorfälle auf, stützt dies den Verdacht auf Kindesmisshandlung.

Rahuls Eltern behaupten, dass es in zweieinhalb Monaten vier Episoden von „Spontaner Selbstentzündung“ gegeben habe. Also würde ich den Ärzten raten, den Jungen mindestens so lange im Krankenhaus zu behalten

Die einzig denkbare Alternativerklärung wäre eine Brandquelle in seinem Zimmer. Diese Möglichkeit sollte mit einer gründlichen Untersuchung leicht auszuschließen sein.“

In diesem Zusammenhang kritisiert Novella auch die Leichtgläubigkeit und Wundersucht der Ärzte und Massenmedien:

Dies ist ein trauriger Fall, der zugleich zeigt, wie Pseudowissenschaft eine schlimme Situation noch schlimmer machen kann.“

Der CSI-Falluntersucher Joe Nickell ist ebenfalls davon überzeugt, dass die Feuer-Attacken enden, wenn das Kind in einer sicheren Umgebung bleibt.

Verweilen wir noch kurz bei den beiden Themen „Massenmedien“ und „Aufklärung“.

Novella schreibt in seinem Blogpost:

It’s also another example of a massive media fail.“

Ja – aber das gilt nicht nur für die Berichterstattung in Indien.

Es ist kaum zu glauben, aber die Schweizer Zeitung Blick schreibt allen Ernstes über den Fall:

Der dreimonatige Rahul aus Indien leidet unter einer seltenen und gefährlichen Krankheit: der spontanen menschlichen Selbstentzündung. Dabei werden Gase aus dem Körper gestossen, die sich dann selber entzünden können.

Da bleiben einem einfach nur die Worte weg.

Und zum traurigen Schluss:

Der indische Mediziner und Kämpfer gegen Aberglauben und „Schwarze Magie“, Dr. Narendra Dabholkar, ist heute Morgen in Pune erschossen worden.

Fortsetzung: “Human Torch”-Baby: Keine Spur von “Selbstentzündung”, GWUP-Blog am 28. August 2013

Zum Weiterlesen:

  • „Human Torch“-Baby: Keine Spur von „Selbstentzündung“, GWUP-Blog am 28. August 2013
  • Spontaneous Baby Combustion, NeuroLogica am 15. August 2013
  • “Human Torch” Baby: SHC or Abuse? Investigative Briefs with Joe Nickell am 15. August 2013
  • Narendra Dabholkar’s death should inspire other Indians to battle superstition“: Sanal Edamaruku zum Tod von Dr. Narendra Dabholkar
  • Spontane Selbstentzündung: Wieder ein heißes Thema, GWUP-Blog am 23. Oktober 2012
  • Nicht ganz so spontan, die Selbstentzündung, GWUP-Blog am 1. Oktober 2011
  • Indien: Führender Aktivist gegen Aberglaube und Hexerei ermordet, diesseits am 22. August 2013
  • Leben und Sterben in Indien, dieausrufer am 25. August 2013

19 Kommentare

  1. Blick wie BLÖD?

  2. Die „Blick“ und „Bild“ sollten sich mal besser selbst entzünden…

  3. Was sollte der Leser daraus lernen?

    Wie so oft, kommt die ganze Geschichte erst nach einigen Tagen ans Licht und die Presse ist vollkommen unglaubwürdig, aber die Leser sind selber schuld, wenn sie diese Journalisten unterstützen, indem sie ihre Ergebnisse kaufen

  4. Naja, Blick als Zeitung zu bezeichnen… Hat mit Journalismus nicht viel mehr zu tun als unsere BLÖD.

    Diese Selbstentzündungsgeschichte ist aber nicht aus der Welt zu bekommen. Mir hat vor einiger Zeit im Gespräch ein (außereuropäischer) Bachelor der Chemie stolz verkündet, dass er auf eben diesem Thema seine Masterarbeit anfertigen wolle.

    Da ich das erst für einen Scherz und dann für ein Verständigungsproblem (Ich nix native speaker, er nix native speaker) hielt, fragte ich zweimal nach.

    Und ja, zweimal kam mit Inbrunst die gleiche Antwort: Spontaneous self combustion.

    *<:o)

  5. Sehr geehrter Herr Harder,

    nur eine kleine Haarspalterei am Rande: Der englische Begriff „abuse“ hat mehrere Bedeutungen: (sexuellen) Mißbrauch, Mißbrauch von Drogen, Amtsgewalt etc., Beschimpfung/Beleidigung und Mißhandlung.

    Ich denke, das absichtliche Verletzen eines Kindes durch Verbrennen würde man auf Deutsch als Kindesmißhandlung bezeichnen und nicht als Mißbrauch.

  6. Es bestürzt mich, zu sehen, dass in einem Land, in dem das Verbrennen von lebenden Menschen mit zur „Kultur“ gehört, noch immer anscheinend nicht einmal die Eltern davor zurückschrecken, wehrlose Kleinkinder zu versengen, um damit vermutlich Aufmerksamkeit und ein paar Rupien zu bekommen, die ihre Lebensumstände verbessern sollen. Ein Menschenleben ist manchmal nichts wert.

    Und statt dass massiv eingeschritten wird, wozu die internationalen Medien beitragen könnten, stürzt man sich hinsichtlich der Berichterstattung allen Ernstes auf das „Wunder der Selbstentzündung“? Das sind grausame Verbrechen, die nicht honoriert, sondern bestraft werden müssen.

    Ob Frauen in Bussen vergewaltigt und totgeschlagen oder ob kleine Kinder verstümmelt werden – das hat mit Wissenschaft und Wundern wirklich nichts zu tun. Ich kann mich nur „wundern“.

  7. Kann mal jemand korrigieren? Child abuse ist korrekt übersetzt die KindesMISSHANDLUNG. Die bei uns sexuell besetzte Bezeichnung „KindesMISSBRAUCH“ heißt im Englischen explizit SEXUAL abuse.

    Danke.
    Salat

  8. @Buchstabensalat:

    Klar, danke.

  9. @Mrs. Tweedy:

    Ok, stimmt natürlich.

  10. Mal ne Frage zur SHC. Da gabs letztes Jahr eine neue Theorie (nicht schlagen bitte ;)) von Brian J. Ford: z.B. http://www.cambridge-news.co.uk/News/Professor-gets-crackling-on-human-combustion-theory-21082012.htm

    Gibts hierzu schon skeptische Einschätzungen?

  11. @notetomyself Ok, wiki zu Brian J Ford reicht schon

  12. @Bernd Hader: danke :)

  13. Eine Masche, sich neuerdings auf diese Weise Filmprojekte zu finanzieren.

    Sicher, es macht Sinn, GUTE Filme zu unterstützen/ermöglichen.
    Aber mir persönlich geht solche Bettelei (nicht anderes ist es aus meiner Sicht) auf die Nerven. Auch deshalb, weil man sich niemals sicher ist, ob da kein Missbrauch stattfindet.

    Wenn ich z. B. Namen wie Joey Heindle lese, die, wenn ich das richtig verstanden habe, in dem Film mitwirken, fühle ich mich dann bestätigt.

  14. @Pierre Castell:

    Sie haben recht, es hat hier eigentlich nichts verloren, also weg damit.

  15. @ Bernd Harder

    Ich bin echt der Letzte, der was dagegen hat, gute Filmprojekte zu unterstützen.

    Aber die erwähnte Masche wird seit 2 oder 3 Jahren immer häufiger angewandt. Auf der einen Seite sind angeblich keine finanziellen Mittel da, um solche Projekte durchzuführen, andernseits werden aber Kosten verursacht, die überflüssig sind. Letztlich ist doch alles nicht überprüfbar, wo das Geld genau hingeflossen ist. Um rechtlich aus dem Schneider zu sein, wird eine „Gegenleistung“ angeboten, wie z. B. Namensnennung im Abspann bei einer Unterstützung ab 20.- (wie in diesem Fall).

    Angeblich erhalten „Promis“ keine Gage. Wer aber das Management von z. B. Joey Heindle kennt, weiß, das so nicht immer stimmt. Klar, solche Namen erzielen mit dem Projekt Aufmerksamkeit.

    Es mag Projekte dieser Art geben, die tatsächlich vom Herzen kommen und jede Unterstützung verdienen. Was nur seltsam ist, dass man oft später erfährt, dass das Ganze im Sande zerlaufen ist.

    Zudem: Wer wirklich ein solches Filmprojekt starten möchte und seriöse Absichten hat, wird den konventionellen Weg des Sponserings wählen. Weil aber die Sponsoren aus dem professionellen Umfeld kritische Fragen stellen und sich alles aufgrund ihrer Erfahrung genauestens darlegen lassen, wird dieser Weg von einigen „Projektleitern“ gemieden und lieber Geld von Otto Normalverbraucher „eingesammelt“.

    Warum wohl?

  16. @Pierre Castell:

    Grundsätzlich weisen wir schon auch mal auf sowas hin – im unten stehenden Fall sind uns allerdings auch

    a) die Protagonisten persönlich bekannt

    und geht es

    b) um unsere ureigenen Vereinsziele:

    https://blog.gwup.net/2013/08/29/crowdfunding-projekt-fur-ein-video-von-den-psi-tests/

  17. @ Bernd Harder

    Verständlich, dann ist ja auch alles nachvollziehbar.
    Gut so!

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