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Tödliche Hexenjagden – und der Kampf der Skeptiker

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Vor zwei Tagen hat Psiram über tödlichen Aberglauben in Afrika berichtet:

Man kann die Grausamkeiten fast endlos aufzählen, es genügt aber wohl schon, wenn man nur über wenige Wochen zurückblickt […]

Bevor man sich mit dem Gedanken trägt, hochnäsig gegen Süden zu blicken, sollte man bedenken, dass Europa das dunkle Tal des Aberglaubens ebenso durchschritten hat, in einer Zeit, die man finsterstes Mittelalter nennt.

Bildung war eine der Laternen, die uns aus dem dunklen Tal der Tränen geführt hat. Afrika hat noch einen weiten Weg vor sich, aber der Weg ist beschritten. Es bleibt zu hoffen, dass in wenigen Jahrzehnten Esoterik in Afrika auch nur mehr größtenteils harmloser Unsinn sein wird.“

Zu denjenigen, die den Weg beschreiten, gehört Leo Igwe, der Vorsitzende der Nigerian Skeptics Society.

Anlässlich des Word Skeptics Congress (WSC) letztes Jahr in Berlin hat Florian von Astrodicticum simplex seine Arbeit kurz vorgestellt.

Derzeit lebt Igwe in Deutschland, wo er an einem Forschungsprojekt der Universität Bayreuth teilnimmt, das sich mit den in afrikanischen Gesellschaften etablierten Vorwürfen der Hexerei beschäftigt.

Im aktuellen Skeptiker (1/2013) schreibt der Menschenrechtsaktivist ein „Skeptisches Manifest für Afrika“.

Einige Auszüge:

In den Ländern Afrikas herrschen Unmengen irrationaler Überzeugungen, von denen die meisten in Ängsten und Unwissenheit sowie in falschen Vorstellungen über Vorgänge in der Natur wurzeln. Diese Fehlvorstellungen sind maßgeblich verantwortlich für eine Vielzahl von schädlichen traditionellen Praktiken, irrwitzigen Zwischenfällen bis hin zu Gräueltaten. […]

Wissenschaft, kritisches Denken und technologisches Know-how gelten nicht als universelle, sondern als westliche Werte, die der afrikanischen Mentalität angeblich fremd sind. Zeigt ein Afrikaner kritisches Denken, indem er nach Belegen sucht oder Beweise für außergewöhnliche Behauptungen fordert, muss er mit dem Vorwurf einer „weißen“ beziehungsweise „westlichen Einstellung“ rechnen.

Stellt ein Afrikaner die prägenden Dogmen seines Herkunftsorts in Frage, wird dies als Abkehr vom Kern der afrikanischen Identität oder sogar als Verrat gewertet. Auch wenn es pauschalisierend klingen mag, so gibt es dennoch zahlreiche Hinweise, dass der schwarze Kontinent in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht in der Vergangenheit feststeckt. […]

In einer Umfrage wurde Afrika kürzlich zu der Weltregion mit den stärksten religiösen Überzeugungen gewählt. Strenger Glaube und Unterentwicklung, Armut, Elend und Frömmigkeit existieren nebeneinander und bedingen sich gegenseitig.

Übrigens stammen die beherrschenden Glaubensrichtungen des Kontinents von außerhalb. Afrikanische Christen sind gläubiger als ihre Glaubensbrüder in Europa, von wo aus christliche Missionare den Glauben einführten. Und afrikanische Muslime sind gläubiger als Muslime im Nahen Osten, der Heimat der Djihadisten und Geistlichen, die den Islam nach Afrika brachten. […]

Die beiden dominierenden Religionen versprechen fantastische Belohnungen für alle Menschen, die nicht denken können, für die geistig Abgestumpften; die blinden Glauben und bedingungslosen Gehorsam praktizieren – selbst wenn sie um eines Dogmas willen töten oder getötet werden.

Sie alle müssen erkennen, dass die Nutzen des skeptischen Denkens – die befreienden Verheißungen der skeptischen Vernunft – für die Afrikaner weitaus erstrebenswerter sind als jede imaginäre Belohnung, sei es im Hier und Jetzt oder im Jenseits. […]

Sehen wir uns die Fakten an: Unter den Afrikanern gibt es durchaus Skeptiker und Rationalisten, wenn ihre Anzahl auch weit unter der kritischen Masse liegt, die es für einen „skeptischen Frühling“ auf dem Kontinent bräuchte. Doch allmählich und kontinuierlich baut sich eine Bewegung auf, sodass man mit Fug und Recht von einem skeptischen Erwachen in Afrika sprechen kann.

Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten. Für die Humanität in Afrika besteht also kein Grund zur Verzweiflung. Vielmehr haben wir allen Anlass zu Hoffnung und Optimismus, schließlich hat auch Europa in seiner Geschichte ein dunkles Zeitalter durchlaufen – düsterer und schrecklicher als das, was gegenwärtig in Afrika geschieht. Dennoch hat der europäische Kontinent bis in die Zeit von Aufklärung und moderner Zivilisation überlebt. […]

Nun sind die afrikanischen Skeptiker aufgerufen, Position zu beziehen gegen den verheerenden Druck von Dogma, Irrationalismus und Aberglauben überall auf dem Kontinent.

Skeptiker sind aufgerufen, aktiv zu werden und sich zu organisieren – online und offline – um Vernunft, Wissenschaft und kritisches Denken voranzutreiben. Angesichts eines drohenden dunklen Zeitalters können Skeptiker es sich nicht leisten, weiter zu schweigen. Draußen in ihren Gemeinden praktizieren viele Scharlatane und beuten verbreitete Ängste und Sorgen der Leichtgläubigen aus.

Wir müssen sie entlarven und unser Volk aus ihrer Knechtschaft befreien. Die Skeptiker in Afrika können nicht länger tatenlos zusehen und erwarten, dass kritisches Denken von selbst aufblüht und gedeiht oder dass Dogmatismus und Aberglaube einfach verschwinden. Die Situation erfordert den aktiven Einsatz von überzeugten und engagierten Skeptikern. Auf diese Weise wurde die viel beachtete skeptische Tradition im Westen begründet und weitergeführt.

Und genau so werden wir ein skeptisches Erbe für Afrika aufbauen und hinterlassen.

Dies ist ein Aufruf an die afrikanischen Skeptiker in Afrika und überall auf der Welt. Die Geschichte hat uns eine Verantwortung auferlegt. Mobilisieren wir deshalb unseren Willen zum Zweifel und andere intellektuelle Kräfte, um eine neue Morgendämmerung herbeizuführen – das skeptische Erwachen des frühen 21. Jahrhunderts.

Afrikanische Skeptiker, erhebt euch!“

Was Leo Igwe derzeit am meisten beschäftigt, sind die Hexenjagden in Ghana.

Darüber hat er unter anderem diese drei aktuellen Artikel geschrieben:

Eine Artikel-Sammlung gibt es hier.

Im vergangenen Jahr sprach Igwe auch beim “Amazing Meeting” der James Randi Educational Foundation:

Kontakt zu Leo Igwe kann man am besten via Facebook aufnehmen.

Zum Weiterlesen:

13 Kommentare

  1. @trixi
    Leider, ist die Welt so – voller Gewalt und Ungerechtigkeit…voller Hass und Liebe – wobei es Eigenliebe ist…leider :-( und dabei ist es egal, ob es Hexen oder sonst was sind.

  2. Morgen, Sonntag, 09. Februar 2014, läuft im Fernsehen (MDR) um 20.15 Uhr die Sendung

    „Sagenhaft – der Harz“ mit Axel Bulthaupt

    In dieser Sendung unterhält er sich u. a. mit einer Hexenexpertin.

  3. Auf dem Fernsehsender NTV läuft momentan die Dokumentation

    „Hexenjagd in Europa“

  4. Seltsam, dass ich über google keine weiteren Meldungen zu der mutmaßlichen Schreckensnachricht finde…

    Ob die gestrige Meldung eine Fälschung war? Diese Zeitung ist ja laut Spiegel-online nicht ganz unbefleckt, was Fälschungen angeht…

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/folter-bilder-daily-mirror-entschuldigt-sich-fuer-faelschungen-a-299968.html)

  5. @ trixi
    Sehe gerade, dass Markus Kompa sich auch nur auf den Artikel im mirror beruft…

    Mal sehen, ob sich die Meldung in den nächsten Tagen tatsächlich bestätigt. Mittlerweile habe ich da so meine Zweifel…

  6. @Pierre Castell:

    Danke, das wird ja immer schlimmer.

  7. Die erste Konferenz über den in Afrika verbreiteten Glauben an Hexerei fand Ende November an der Universität von Nsukka in Nigeria statt. Christliche Vereinigungen hatten versucht, die Konferenz zu verhindern.

    https://hpd.de/artikel/protest-gegen-hexerei-konferenz-17506

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