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Medium für einen Tag

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Fortsetzung von „Sind Hellseher anerkannt?“

Kommen wir also zum Schluss auf den US-Skeptiker Michael Shermer zurück, der für eine Fernsehsendung zum „Psychic for a day“ mutierte:

Seinen Bericht gab’s im Skeptiker 3/2005:

Ein Tag als Medium oder: Wie ich in 24 Stunden Tarot, Handlesen, Astrologie und Wahrsagen lernte.“

Einige Auszüge:

Obwohl der Tag der TV-Aufnahmen einige Wochen im Voraus angesetzt war, bereitete ich mich absolut nicht darauf vor. Das machte mich etwas nervös, denn Wahrsagen ist eine Form des improvisierenden Schauspielens, das sowohl Talent als auch Erfahrung braucht.

Und ich machte mir die Sache sogar noch schwerer, denn ich überzeugte den Moderator Bill Nye davon, dass wir eine ganze Reihe verschiedener Techniken verwenden sollten, unter anderem Tarotkarten, Handlesen, Astrologie und Hellseherei, weil all diese verschiedenen Methoden eigentlich nur Requisiten sind, um ein Psychodrama namens Cold Reading zu inszenieren, bei dem man eine Person ,kalt’ (also ohne sie vorher zu kennen) wie ein offenes Buch ,liest’.

Ich bin jetzt noch mehr als zuvor davon überzeugt, dass Mogeln oder Betrügen (etwa indem man vorher Informationen über die Klienten einholt) kein notwendiger Bestandteil des erfolgreichen Wahrsagens ist.

Ich habe in der Sendung fünf verschiedenen Personen wahr gesagt, alles Frauen, die das Fernsehteam gewählt hatte und über die ich nichts weiter erfuhr als ihr Geburtsdatum (um ein astrologisches Horoskop erstellen zu können). Ich hatte mit keiner der Versuchspersonen Kontakt, bis sie für die Aufzeichnung vor mir saßen. Wir sprachen nicht miteinander, bevor die Kameras liefen. Alles fand im Aufnahmestudio von KCTS statt, dem örtlichen Partner von PBS in Seattle.

Die Hauptquelle für meine Wahrsagekünste war Ian Rowlands einsichtsvolles und umfassendes Buch The Full Facts Book of Cold Reading.

Rowland betont darin, wie wichtig es ist, vor der eigentlichen Sitzung eine einnehmende Atmosphäre zu schaffen, damit der Klient dem ,cold reading’ gegenüber aufgeschlossen wird. Er schlägt vor – und genauso bin ich vorgegangen –, eine sanfte Stimme, einen ruhigen Umgang und eine sympathische, nicht-konfrontative Körpersprache anzunehmen:

  •  freundlich zu lächeln,
  • ständig den Augenkontakt zu halten,
  • den Kopf beim Zuhören etwas zur Seite zu neigen
  • und dem Klienten mit geschlossenen (aber nicht überkreuzten) Beinen und offenen Armen gegenüber zu sitzen.

Da ich die Wahrsagerei nicht als Beruf ausübe, fehlte mir ein Repertoire an Dialogen, Fragen und Kommentaren, auf die ich zurückgreifen konnte.

Also gliederte ich die Wahrsagesitzung anhand der folgenden, leicht zu merkenden Themen, die sich an den Hauptfragen orientiert, die für gewöhnlich Leute zum Wahrsager führt: Liebe, Gesundheit, Geld, Beruf, Reisen, Ausbildung und persönliche Ziele. Außerdem fügte ich Aussagen zur Persönlichkeit hinzu, denn die meisten Leute wollen etwas über sich selbst erfahren.

Im Wesentlichen begann ich jede Sitzung mit diesen allgemeinen Bemerkungen:

  • Sie sind eine sehr rücksichtsvolle Person und gehen gerne auf die Bedürfnisse anderer ein, aber es gibt Zeiten, wo Sie – wenn Sie ehrlich sind – eine egoistische Ader in sich erkennen. Ich würde sagen, insgesamt können Sie ein ziemlich ruhiger und selbstgenügsamer Typ sein, aber unter den richtigen Umständen können Sie eine Party auch ganz schön in Schwung halten, wenn Sie in Stimmung sind.
  • Manchmal sind Sie zu ehrlich über ihre Gefühle und geben zu viel von sich preis. Sie sind gut darin, die Dinge konsequent durchzudenken, und Sie möchten gute Gründe haben, bevor Sie Ihre Meinung ändern. Wenn Sie sich in einer ungewohnten Situation befinden, sind Sie sehr vorsichtig, bis Sie genau verstehen, was los ist, und dann handeln Sie mit Zuversicht.
  • Ich spüre auch, dass Sie jemand sind, auf die man sich im Allgemeinen verlassen kann. Keine Heilige, nicht perfekt, aber – sagen wir mal – wenn es darauf ankommt, dann verstehen Sie, wie wichtig es ist, zuverlässig zu sein. Sie wissen, wie man anderen ein guter Freund ist.
  • Sie sind so diszipliniert, dass sie Ihren Mitmenschen stets kontrolliert erscheinen, aber in Wirklichkeit fühlen Sie sich manchmal unsicher. Sie wünschten, Sie könnten ein bisschen populärer werden und ein bisschen ungezwungener im Umgang mit anderen Personen, als Sie es jetzt sind.
  • Sie haben ein weises Verständnis für die Welt, eine Weisheit, die Sie durch harte Erfahrungen und nicht durch Lernen aus Büchern gewonnen haben.

Jede einzelne meiner fünf Versuchspersonen nickte ganz heftige Zustimmung und erklärte, dass diese Aussage ihre Persönlichkeit perfekt zusammenfasse.

Nach den generellen Aussagen und der Persönlichkeitsbeurteilung habe ich mich gleich auf die spezifischen Kommentare gestürzt. Rowland erstellt in seinem Buch eine Listen von Vermutungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen.

Einige betreffen zum Beispiel Gegenstände, die man in jedem Haushalt findet: eine Schachtel mit alten Fotos, manche in Alben, manche nicht in Alben, alte Medikamente mit abgelaufenem Verfallsdatum, Spielsachen, Bücher, Erinnerungsstücke aus der Kindheit, Schmuck von einem verstorbenen Familienmitglied, ein Kartenspiel, bei dem möglicherweise Karten fehlen, elektronisches Gerät, das nicht mehr funktioniert, Notizblock, bei dem der zugehörige Stift fehlt, veraltete Notiz am Kühlschrank oder neben dem Telefon, Bücher über ein Hobby, das man längst aufgegeben hat, abgelaufener Kalender, eine Schublade, die verkeilt ist oder sich nicht reibungslos öffnen lässt, Schlüssel, von denen man nicht mehr weiß, wozu sie gehören, eine Uhr, die nicht mehr geht.

Dazu nennt Rowland noch einige persönliche Merkmale: Narbe am Knie, die Zahl 2 in der Adresse, Unfall in der Kindheit im Zusammenhang mit Wasser, Kleidung, die nie getragen wurde, Foto einer nahe stehenden Person in der Brieftasche, lange Haare in der Kindheit, später dann eine kürzere Frisur, einzelner Ohrring ohne das passende Gegenstück …

Ein eigenes Zitat fügte ich bei allen fünf Klientinnen mit großem Erfolg hinzu: ,Ich sehe ein weißes Auto.’

Alle meine Versuchspersonen konnten mühelos eine Verbindung zu einem weißen Auto herstellen.“

Weiter bei „Medium für einen Tag Teil 2“

Zum Weiterlesen:

  • James Randi: Die Kunst des Cold Reading, hpd-Online am 24. August 2007
  • „Cold Reading“ in The Skeptic’s Dictionary
  • Sind Hellseher sympathisch? GWUP-Blog am 30. September 2012
  • Sind Hellseher seriös? GWUP-Blog am 1. Oktober 2012
  • Sind Hellseher anerkannt? GWUP-Blog am 2. Oktober 2012

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