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WSC, zweiter Tag: May the CHI be with you!

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Und weiter geht’s mit unserer aktuellen Berichterstattung vom World Skeptics Congress in Berlin.

Erster Referent des zweiten Tages war Professor Jürgen Windeler, Direktor des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Er legte dar, dass es …

… no Difference in Methods Evaluating the Benefits of Conventional and Complementary Medicince“

gibt.

Etikettierungen wie „unorthodoxe“, „alternative“ oder „komplementäre“ Medizin hätten keine inhaltliche Aussagekraft, sondern versuchten lediglich, einen besonderen Status herbeizuschreiben, welche die jeweilige Methode unter „Artenschutz“ stellen soll.

Vom wissenschaftlichen Standpunkt her gebe es hingegen keinen Grund, die kritische Evaluation, etwa mit randomisierten, kontrollierten Studien, nicht auch auf CAM (Complementary and alternative medicine) anzuwenden.

Zu dieser Thematik hat Windeler sich auch im Deutschen Ärzteblatt geäußert.

Das Wichtigste bei guten Studien zur Bewertung von Therapien sei der Vergleich – allerdings nicht „Vorher/Nachher“, sondern der Vergleich zwischen Anwendung versus  Nicht-Anwendung einer Methode bei sonst gleichen Umständen.

Auch zur typischen CAM-Immunisierungsstrategie „Wir brauchen mehr Studien“ bezog der IQWiG-Leiter klar Stellung. Diese Forderung sei vergleichbar mit dem Nutzen einer Untersuchung, ob der Gebrauch von Fallschirmen Unfälle oder Todesfälle beim Fallschirmspringen verhindern könne (ein satirisches Beispiel für Evidenzbasierte Forschung).

Dem Tagungsort angemessen, verwies Windeler hierzu auf „Murus Berlinensis“, ein Homöopathikum aus Resten der Berliner Mauer:

Let us laugh at it, let us ignore it, do not study it.“

Oder anders ausgedrückt: Wenn es keine auch nur halbwegs überzeugende Theorie hinter einer Methode gibt, dann sind auch Studienergebnisse dazu nicht interpretierbar – und damit hinreichend sinnfrei.

 Der Medizinstatistiker Dr. Gerd Antes vom Institut für medizinische Biometrie und medizinische Informatik an der Universität Freiburg, Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, stimmte den Ausführungen seines Vorredners in allen Punkten zu. Darüber hinaus umriss er insbesondere den „Publication Bias“, ein Phänomen im Bereich der wissenschaftlichen Publizistik, welches das bevorzugte Veröffentlichen von Arbeiten und Studien bezeichnet, die zu „positiven“ oder auch nur zu signifikanten Ergebnissen gekommen sind.

Antes sprach sich unter anderem für eine verpflichtende Registrierung von klinischen Studien aus und verwies in diesem Zusammenhang auf ein neues Projekt der Uni Freiburg: OPEN = To Overcome failure to Publish nEgative fiNdings.

Auch die pensionierte Ärztin Dr. Harriet Hall (The SkepDoc) bezeichnete Wortschöpfungen wie „Alternativmedizin“ als reine Werbe-Lyrik. Es gebe keine „konventionelle“ und „alternative“ Medizin, sondern nur gute und schlechte beziehungsweise wirksame und unwirksame Medizin. Nicht umsonst sprächen kritische Denker mittlerweile von „so called CAM“, was abgekürzt „scCAM“ heiße (scam = engl. Betrug).

Die wissenschaftliche und medizinische Plausibilität von Homöopathie und Co. bewege sich in etwa auf dem Niveau der Zahnfee („Fairy Tale Science“). CAM-Anhänger suchten keine Beweise, dass Methode XY funktioniert – sondern sie versuchten lediglich, anderen zu beweisen, dass Methode XY funktioniert.

Zu diesem Aspekt hatte am Vorabend der belgische Mediziner Wim Betz das Publikum mit dem Begriff „Overflooding“ bekannt gemacht: Eine regelrechte Flut von immer neuen, aber gleichbleibend schlechten und wissenschaftlich minderwertigen Homöopathie-Studien solle Politikern und der breiten Öffentlichkeit suggerieren, dass „etwas dran“ sei.

Auf der Webseite sciencebasedmedicine kann man übrigens zahlreiche Aufsätze und Artikel von Dr. Harriet Hall nachlesen.

 Der Anästhesist Dr. med. Benedikt Matenaer (spezialisiert auf Schmerztherapie und Palliativmedizin) beschrieb den rund 300 Zuhörern im Berliner Crowne-Plaza-Hotel zunächst seine langwierige und kostspielige Zusatzausbildung zum Akupunkteur.

Erst nachdem er mit Skeptikern in Kontakt kam, habe er angefangen, das völlig unplausible System der Akupunkturpunkte und Phantasiebegriffe wie „Meridiane“ oder „Chi“ in Frage zu stellen, etwa dergestalt:

  • Wann fängt das Chi an zu fließen – und wann hört es auf?
  • In welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit fließt das Chi?
  • Was passiert mit dem Chi bei einer Operation am offenen Herzen?

Kein Verfechter der Akupunktur könne diese und weitere Fragen sinnvoll beantworten, weswegen Matenaer schließlich zu der Überzeugung gelangte, dass die Nadelung verschiedene unspezifische Effekte initiiert, etwa Hyperämie, die Freisetzung von Endorphinen etc.

Hauptsache, es sticht – wohin ist egal.

Allerdings werde in keiner Leitlinie einer medizinischen Fachgesellschaft Akupunktur explizit empfohlen. Nicht umsonst hatte Matenaer seine Präsentation „The Good, The Bad and The Ugly“ überschrieben, um die verschiedenen Facetten dieses populären Verfahrens auszuleuchten:

Lässt es sich mit den Prinzipien der Weiterbildungsordnung von Ärztekammern vereinbaren, eine Pseudo-Ausbildung mit einer Zusatzbezeichnung zu adeln ? Warum wird von Ärzten einerseits die Anwendung evidenz-basierter Verfahren gefordert, andererseits aber der Akupunktur der Eintritt in das öffentliche Gesundheitswesens gestattet, einem Verfahren, dessen Grundlagen bislang reine Spekulation sind?“

Angehenden Akupunkteuren gab der Schmerzmediziner aus Bocholt zum Schluss noch einige ironische Ratschläge mit auf den Weg, die allesamt darauf abzielen, dem Patienten in einer entspannten Atmosphäre ein wohliges Gefühl zu vermitteln. Und dann:

May the CHI be with you!“

 Zum Weiterlesen:

  • Wo Aberglaube wirklich gefährlich ist: Skeptiker in Afrika, Astrodicticum simplex am 19. Mai 2012
  • Wie eine Kartoffel den Kindern die Freude an der Wissenschaft austreibt – und eine schwimmende Giraffe sie wieder zurückbringt, Astrodicticum simplex am 18. Mai 2012

 

2 Kommentare

  1. Sehr geehrte Blogschreiber,

    das klingt ja sehr spannend. Hätte ich nur eher von diesem Kongress erfahren…

    Ist es möglich, von Ihnen einen Mitschnitt oder ein Skript des Vortrags des Kollegen Jürgen Windeler zu bekommen? Ich würde das gerne vertiefen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Andi Du1ger

  2. @Andi: Vielen Dank für Ihre Nachricht.

    Tut mir Leid, die Präsentationen dürfen wir nicht rausgeben.

    Es wird aber noch eine Video-Dokumentation der Vorträge geben.

    Wesentliches steht aber auch in dem verlinkten Artikel im Ärzteblatt.

    Wenn Sie sich beeilen, können Sie heute noch die Süddeutsche Zeitung (22.5.) kaufen, da ist ein größerer Bericht über den Vortrag von Prof. Windeler drin.

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