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Zürcher Denkfest: Internationales Panel zu skeptischem Bloggen

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Gestern wurde in Zürich das Denkfest der Schweizer Freidenker eröffnet. Denkfest, das bedeutet vier Tage voller hochkarätiger Workshops, Vorträge und Diskussionen, auf dem Podium auch viele GWUP-Mitglieder. Es begann gestern mit einem Workshop für Wissenschaftsblogger. SKEPTIKER-Autorin Jasmin Barman war als Besucherin dabei. Hier ihr Bericht:

„Was bringt Menschen dazu, in ihrer Freizeit wissenschaftliche Zusammenhänge in eine für die Allgemeinheit verständliche Sprache zu übersetzen und die Artikel für jeden zugänglich ins Internet zu stellen? Nutzt es überhaupt, Verschwörungstheorien und Gespenstergeschichten auf den Grund zu gehen oder sich mit absurden Kommentaren zu Blogbeiträgen rumzuschlagen? Und was sehen skeptische Blogger als ihre gesellschaftliche Funktion an?

Diesen Fragen wurde im internationalen Panel für skeptisches Bloggen nachgespürt, der Auftaktveranstaltung des Denkfest in Zürich.

Für die „vier Tage Wissenschaft, kritisches Denken & intelligente Unterhaltung“ wurden zum Teil weit über ihre jeweiligen Landesgrenzen hinaus bekannte Blogger eingeladen. Dabei sind der thematische Fokus wie auch die Motivation einen Blog zu führen, sehr von der individuellen Erfahrung geprägt: Cristina Rad, streng christlich aufgewachsen, fand sich in Rumänien gesellschaftlich isoliert und suchte im Internet andere Rationalisten und Atheisten

Heute ist sie selbst ein Star, der – laut einem Kommentar aus dem Publikum – sogar in der arabischen Welt vielen Menschen Mut macht, selbstständig über ihren Glauben nachzudenken.

Die Einflusssphäre eines Blogs zu ermessen, ist dabei nicht leicht: In Form von Kommentaren treten vor allem solche Personenkreise in Erscheinung, die sich durch das Geschriebene stark angegriffen fühlen. Florian Freistetter (Deutschland), Astronom und Autor des Blogs Astrodicticum Simplex, erhält im Schnitt 200-300 Antworten – pro Tag.

Er beschäftigt sich u. a. mit astrologischen Vorhersagen. Für Laien sind diese von echter Astronomie so schwer zu unterscheiden, weil auch Vertreter astrologischer „Systeme“ diese für Wissenschaft halten – sie verwenden sogar das astronomische Fachvokabular. Freistetter beantwortet Astrologie mit Logik – warum sollte man sich auf neun Planeten, die Sonne und einen einzigen Mond beschränken, wenn es doch mindestens 17 Monde, etliche kleine Planeten und Himmelskörper wie Kometen gibt, die alle einen Einfluss in derselben Größenordnung ausüben könnten?

Wie viel Erfolg man mit Diskussionen im Netz denn hätte, wollte der Moderator und professionelle Blogger Andreas von Gunten (Schweiz) wissen. Nicht überreden, sondern Wege aufzeigen kritisch zu denken, sei das Ziel, so Hayley Stevens (Großbritannien). Damit ließen sich vor allem die stillen Leser erreichen, die sich noch keine feste Meinung gebildet haben und im Netz nach Antworten suchen.

Die Gründerin der British Anomalistic Research Society jagt unter anderem Gespenster, wobei auch sie die Werbewirksamkeit so manchen Seeungeheuers in ihren Analysen berücksichtigt. Wichtig sei es, absurden Vorstellungen alternative Erklärungen mit nachvollziehbaren Argumenten und recherchierbaren Fakten entgegenzustellen.

 Harte Wissenschaft vermisst in seiner Disziplin der Sozialwissenschaftler Ali Arbia (Schweiz). Politik sei oftmals nicht evidenzbasiert. Um Verschwörungstheorien vorzubeugen, sollte man Studienergebnisse erläutern und den Kontext sichtbar machen, in dem sie entstanden sind.

Wichtig sei es zu erklären, wie wissenschaftliche Daten ausgewertet werden, pflichtet Lars Fischer (Deutschland) bei. Der Wissenschaftsjournalist mit Chemiehintergrund setzt sich für die Zugänglichkeit (open access) aller veröffentlichten Forschungsergebnisse ein: Für Laien muss Forschung wirken, als ob man die Welt in eine Blackbox stecke, in der dann „Wissenschaft passiere“, und am Ende bekomme man Gewissheiten heraus. Nur das Wissen darüber, wie Forschung funktioniere könne den Mehrwert, den Wissenschaft biete, klar erkennbar machen.

Dass selbst das Wissen um die Grundlagen nicht immer vor homöopathischen Anwandlungen schützt, konnte die Biologin und GWUP-Mitglied Julia Offe (Deutschland) im eigenen Bekanntenkreis erleben: Warum eine Schwangerschaft kein Freibrief zum Kügelchen schlucken und der Placeboeffekt kein Ersatz für Impfungen darstellt legt sie mit Mutterwitz und vor allem -verstand in ihrem gleichnamigen Blog dar.

Im Pluralismus des Internets eine rationale Position sichtbar zu machen, das ist nach Einschätzung der Anwesenden die Aufgabe von skeptischem Bloggen. Ziel sei aber die reale Welt, so Marko Kovic, Politikwissenschaftler aus der Schweiz.

Ihn beschäftigt besonders die unreflektierte Haltung der Massenmedien gegenüber „all dem verrückten Zeug, das in der Schweiz vorgeht“, was ihn zur Gründung des ersten Schweizerischen Skeptiker- Blogs bewog. Das Internet könne zwar einen Prozess in der Gesellschaft in Gang setzen; weitere Anstrengungen seien aber notwendig. Auch Wissenschaftler selbst müssten sich aktiver in der Öffentlichkeit darum bemühen zu erklären, was sie eigentlich machen und warum ihre Forschung wichtig ist. Doch auch das private Umfeld ist ein – zugegebenermaßen konfliktträchtiges – Feld.

Dabei müsse man sich klar machen, dass die westliche Welt eine „bubble“, eine noch einigermaßen heile Insel sei. Sich für eine vernunftbasierte Gesellschaft einzusetzen, wird nicht zum Nulltarif möglich sein.

Anmerkung: Die Veranstaltung fand in Englisch statt, die Übersetzung der als Kommentare gekennzeichnet Abschnitte wurde frei von der Autorin vorgenommen.“

Zum Weiterlesen:

Autor: Inge Hüsgen

Redaktionsleiterin Skeptiker - Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken

9 Kommentare

  1. “ eine Schwangerschaft kein Freibrief zum Kügelchen schlucken und der Placeboeffekt kein Ersatz für Impfungen darstellt legt sie mit Mutterwitz und vor allem -verstand in ihrem gleichnamigen Blog dar. “

    Der letzte Artikel in diesem angeblichen „Blog“ datiert vom 22. Oktober 2010.

    Seltsame Auswahl von Teilnehmern für eine „aktuelle“ Diskussion zum Thema – gab es keinen anderen/besseren GWUP-Vertreter, der regelmäßig bloggt?

  2. @stefanie:

    << Für die „vier Tage Wissenschaft, kritisches Denken & intelligente Unterhaltung“ wurden zum Teil weit über ihre jeweiligen Landesgrenzen hinaus bekannte Blogger eingeladen. <<

    Ja, muss man nicht verstehen. Bei der wikio-Auswertung der besten Wissenschaftsblogs finden sich zwei explizite Skeptiker-Blogs unter den ersten 10, nämlich kritisch gedacht und skeptiker.de

    Mutterwitz? Tut mir Leid, nie gehört.

  3. @stefanie/Kurt:

    Da hat wohl jemand nicht richtig nachgedacht. Diese Blogger-Szene ist leider sehr „kumpelhaft“ organisiert, ein wenig mehr Verständnis von Kommunikation, Vernetzung und schlichtem Journalismus würde den „Science“-Bloggern sicher nicht schaden.

    Das wäre sicher auch mal ein sinnvoller Diskussionspunkt gewesen, den ich in der obigen Zusammenfassung nicht finde: Wie kann man diese Szene besser aufeinander abstimmen und gemeinsam mehr erreichen, anstatt dass jeder vor sich hin bloggt und nur die engsten Kumpels rechtzeitig von wichtigen Informationen erfahren (oder zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden)?

  4. @alle:

    Die obige Zusammenfassung liest sich in der Tat sehr stark nach einer Selbstbestätigungs-Veranstaltung (ich will nicht sagen: Beweihräucherung).

    Sicherlich hätte es spannendere Themen gegeben als die Frage „Warum machst Du das“ und „Wie ist das so?“

    Das Thema müsste doch sein, welches Gegengewicht die Blogs zur immer seichter und unkritischer werdenden Mainstrweam-Presse darstellen können und wie man das am besten organisiert.

    Die ganze Blogger-Szene krankt doch an der Egozentrik der Einzelnen Blogger, das sieht man ja allein daran, wie viele verschiedene „Skeptiker“-Blogs es gibt, anstatt einen gemeinsam zu betreiben, mit viel höherer bekanntheit und Durchschlagskraft.

    Um so etwas zu diakutieren, darf man aber halt nicht nur die „Kumpels“ einladen, wie Kathrin so schön sagt, und sich gegenseitig selbst feiern.

  5. Das Denkfest war international ausgerichtet. Die Vorträge und Podien von Freitag bis Sonntag wurden auf Englisch oder Deutsch gehalten und simultan in die jeweils andere Sprache übersetzt. Auch das Blogger-Podium vom Donnerstagabend war bewusst international besetzt, eine reine deutsche (oder deutschsprachige) Besetzung stand deshalb nicht zur Debatte.

    Es wurde am Podium nicht nur diskutiert, was Blogger antreibt, sondern auch, was dem Bloggen im Weg stehen kann. Julia legte dabei offen, wieso sie es in den letzten Monaten nicht schaffte, ihren Blog, in dem sie vor allem typische «Elternthemen» kritisch beleuchten wollte, weiter zu führen.

    Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, die Vernetzung der Wissenschafts- und skeptischen Blogger weiter voran zu treiben. Wer gewillt ist, die Organisation einer geeigneten Veranstaltung an die Hand zu nehmen, wird bei Bloggern wie auch der GWUP und befreundeten Organisationen sicher auf offene Ohren stossen. Also, ran an die Arbeit!

  6. Hier noch ein interessanter Bericht: http://www.skeptiker-blog.ch/2011/09/das-denkfest-kam-sah-und-siegte.html

    wie war eigentlich die Presseresonanz, viel hab ich nicht gefunden. Woran liegt es? Gibt es in der Schweiz zu viel wichtigere Themen??

  7. Bei der Medienarbeit müssen wir definitiv zulegen. Die Preisverleihung in Wien war eine hervorragende Idee. Eventuell hätte es auch in Zürich einen ähnlichen Aufhänger gebraucht.

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