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30 Jahre Medjugorje: Die Vorgeschichte

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Am 24. Juni 1981 …

… begann einer der größten sanften Eingriffe des Himmels in der neuesten Kirchengeschichte“,

heißt es – etwas holprig – im Jubiläumsband 100 (1/2011) des Medjugorje Magazins der Gebetsaktion Medjugorje Wien:

Seit 30 Jahren erscheint die Muttergottes täglich den Sehern von Medjugorje […] Die Muttergottes setzt fort, was sie in Fatima und Lourdes begann und in Medjugorje in einer noch nie dagewesenen Intensität weiterführt.“

„Noch nie dagewesen“ stimmt.

Ein halbes Dutzend „Seher“, tägliche „Erscheinungen“, weit mehr als 30 000 „Botschaften“, über eine Million Besucher pro Jahr: Das 4300-Einwohner-Dorf in den Bergen der Herzegovina ist ein Erscheinungsort der Superlative.

Auch wir möchten zum bevorstehenden Jubiläum gratulieren. Mit einer kleinen, skeptischen Serie über die „Gospa“ (kroatisch für „Gottesmutter“) von Medjugorje.

Das ist zugegebenermaßen nicht ganz leicht. Denn wir sehen uns mit dem seltenen Fall konfrontiert, dass die „kritische“ Literatur genauso mit Vorsicht zu genießen ist wie die frommen Schriften der Anhänger. In aller Regel handelt es sich bei den „Contra“-Autoren ebenfalls um Religions-Fundis, die ihren ganz eigenen Motiven folgen.

Dass Medjugorje eine „satanische Täuschung“ sei, ist nur einer von mehreren Versuchen, Unsinn durch anderen Unsinn zu „erklären“.

Auf traditionalistischen Hetz-Seiten wie kreuz.net wiederum werden die „Erscheinungen“ von Medjugorje deshalb verworfen, weil die Gospa sich in ihren „Botschaften“ nicht gegen die Handkommunion ausspricht und überhaupt die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils gutzuheißen scheint.

Der Skeptical Inquirer hat sich anno 2002 an einer Analyse des (religions-) politischen Umfelds der „Marienerscheinungen“ versucht – mehr oder weniger überzeugend.

Ich selbst habe Medjugorje mehrfach besucht, war dabei, als die „Seher“ ihre „Erscheinungen“ hatten, habe zahlreiche Interviews mit Fans wie Gegnern geführt und mit Ortsgeistlichen ebenso gesprochen wie mit Pilgerleitern, Taxifahrern, Pensionswirten, Publizisten, Psychologen und Historikern.

Völlig eindeutig ist, dass die „Erscheinungen“ der Gospa nicht vom Himmel gefallen sind, sondern eine lange Vorgeschichte haben. Davon soll in diesem ersten Teil die Rede sein.

Marienfrömmigkeit:

Die Pfarrchronik berichtet von einem „Leidensweg“, den die Pfarrei von Medjugorje durch die Jahrhunderte gegangen sei. Und nicht nur Medjugorje.

Die gesamte Republik Bosnien-Herzegowina ist geprägt durch die über 400-jährige osmanische Herrschaft zwischen 1463 und 1878. Während dieser Zeit fokussierte sich die christliche Bevölkerung auf zwei Fixpunkte: die Franziskanerpater und die Muttergottes.

In der volkstümlichen Heiligenverehrung der Region nimmt Maria seit jeher einen herausragenden Platz ein. Vom Orden des heiligen Franziskus von Assisi seit dem 13. Jahrhundert gefördert und instrumentalisiert, wurde Mariengläubigkeit nicht nur zum Charakteristikum der Volksfrömmigkeit, sondern auch zum verbindenden nationalen Element. Maria avancierte dank der Ordensbrüder zur Mutter, Königin und Schutzpatronin der Kroaten. Davon zeugen zahlreiche Marienkirchen und Marienwallfahrtsorte mit wundertätigen Marienbildern.

Für die naturverbunden und einfach lebenden Menschen in der Herzegowina war und ist der Himmel näher und durchlässiger als für die meisten Europäer. Ein „von den kirchlichen Normen abweichendes Alltagsverhalten“ sei für die Religiosität der Kroaten geradezu charakteristisch, schreibt der kroatische Theologe Dr. Ivan Zeljko.

Grenzerfahrungen:

Die Historikerin Maria Anna Zumholz hat in ihrer umfangreichen Studie zu den „Marienerscheinungen“ im deutschen Heede (1937 – 1940) herausgearbeitet, dass Grenzlandschaften (die etwa im Fall von kriegerischen Auseinandersetzungen immer als erste betroffen und zudem in wirtschaftlicher Hinsicht oft benachteiligt sind) sich „offenbar als besonders prädestiniert für wundersame Phänomene wie Marienerscheinungen“ erweisen.

In Bosnien-Herzegowina verlief im Römischen Reich die Grenze zwischen Ost und West, im Mittelalter zwischen katholischen und orthodoxen Ländern und später zwischen der Österreich-Ungarn-Monarchie und dem osmanischen Reich.

Der „Fall Herzegowina“:

Erst im späten 19. Jahrhundert fanden sich die europäischen Großmächte zum Eingreifen auf dem Balkan bereit.

Da österreichische Truppen entscheidend bei der Befreiung Bosniens und der Herzegowina mitwirkten, besetzte die Österreich-Ungarn-Monarchie 1878 kurzerhand die beiden Provinzen und annektierte sie schließlich 1908. Der neue Herrscher, der Habsburger Kaiser und König Franz Josef I., ersuchte den Papst, wieder so genannten Weltklerus (also Priester, die keinem Orden angehören, sondern dem Vatikan beziehungsweise dem örtlichen Bischof unterstehen) in Kroatien einzusetzen – offenbar missfiel dem Monarchen das enge Band zwischen der Bevölkerung und den Brüdern.

Papst Leo XIII. gründete daraufhin mit dem Dekret „Ex hac augusta“ im Jahr 1881 die Diözesen Sarajevo, Banja Luka, Mostar und Trebinje. Und legte damit den Grundstein für den „Fall Herzegowina“, der genau 100 Jahre später die „Marienerscheinungen“ von Medjugorje im Bistum Mostar maßgeblich beeinflussen sollte.

Der Heilige Stuhl unterstellte die katholische Kirche in Bosnien teils dem Franziskanerorden und teils dem pastoralen Klerus. Die Gemeinden wurden zwischen den alteingesessenen Ordenspriestern und den gesandten Geistlichen des Vatikans aufgeteilt. Die Franziskaner, bis 1881 Jahrhunderte lang die einzigen Seelsorger in Bosnien-Herzegowina, büßten dadurch erheblich an Macht und Einfluss ein – was sie keineswegs in mönchischem Gehorsam hinzunehmen gedachten.

Insbesondere im Bistum Mostar stritten die Klosterbrüder mit dem weltlichen Oberhirten erbittert um jede einzelne Pfarrei – die große Mehrzahl der Gläubigen hinter sich wissend, die nie vergaßen, dass es die Franziskaner gewesen waren, die ihnen während der Türkenherrschaft zur Seite gestanden hatten.

1981, kurz vor Beginn der Marienerscheinungen in Medjugorje, gab es in der Bischofsstadt Mostar nur eine einzige – von den Franziskanern betreute – Pfarrei mit rund 25 000 Katholiken. Oberhirte von Mostar war im Jahr zuvor Pavao Zanic aus Split geworden. Und der verschärfte den immer noch schwelenden „Fall Herzegowina“ radikal.

Gleich nach seinem Amtsantritt verkündete Zanic die Gründung einer neuen, weltlichen Dompfarrei. Was für die Franziskaner nichts anderes bedeutete als die erzwungene Abtretung von drei Vierteln ihrer Kirchen an vatikan- und bischofstreue Weltpriester. Ein Teil der Ordensleute versagte daraufhin der gerade erst neu gewählten und eher auf Ausgleich bedachten Leitung der Franziskanerprovinz in der Herzegowina die Gefolgschaft.

Bischof Zanic suspendierte daraufhin den Pfarrer der Franziskanerpfarrei von Mostar. Neben diesem Pater Leko waren es noch eine Reihe anderer Brüder, die sich den Absichten des Oberhirten massiv widersetzten. Zwei von ihnen, Pater Ivan Prusina und Pater Ivica Vego, taten dies so nachhaltig, dass sie schließlich mit der Strafe der Suspension (Verbot des priesterlichen Dienstes) belegt wurden.

Was hat dieses De-facto-Schisma nun mit den Erscheinungen von Medjugorje zu tun? Einiges, wie sich bald herausstellte.

Zum einen „konnte man die meisten dieser Franziskaner später in Medjugorje sehen, das zu einer Begegnungsstätte der Opposition wurde“.

Zum anderen ergriff die Erscheinung gleich zu Beginn ihres Kommens offen Partei für die „störrischen und widerspenstigen Mönche“ (Zitat Bischof Zanic). Zanic habe „voreilig gehandelt“, überbrachte die „Seherin“ Vicka Ivankovic dem Bischof im Juli 1981 eine „Botschaft“ der Gottesmutter. Die beiden Franziskaner seien „vollkommen unschuldig“ und zu Unrecht gemaßregelt worden, ließ die Gospa dem konsternierten Kirchenfürsten ausrichten.

Nationalismus:

Surmanci ist eines der fünf Dörfer der heutigen Pfarrei Medjugorje. Während des Krieges befand sich hier ein orthodoxes Kloster.

Im Sommer 1941 trieb die Ustasha – die kroatischen Faschisten – die gesamte Mönchsgemeinschaft nach draußen und ließ die Brüder lebendig begraben. Fast zeitgleich starben 559 Serben, die von den Felsen rund um Surmanci in die Tiefe gestürzt wurden.

Eine unheilvolle Verstrickung der Franziskaner als „engstirnige Patrioten“ und „glühende Helfer der Ustasha“ in die Massenmorde gilt als nahezu sicher. [Auch während des jugoslawischen Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren soll es angeblich eine enge Zusammenarbeit zwischen Kriegsverbrechern und Franziskanern in Mostar gegeben haben.]

Das Massaker von Surmanci wird von Historikern auf den 21. Juni 1941 datiert. Fast auf den Tag genau vierzig Jahre später, am 24. Juni 1981, sehen sechs „Seher“-Kinder auf einem Berg bei Medjugorje die Gottesmutter.

Antikommunismus:

Im Februar 1981 gedachten mehr als 7000 Kroaten vor der Kathedrale von Zagreb demonstrativ des 21. Todestags von Erzbischof Stepinac. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche hatten damit einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Aus dem nahen Polen erreichten die kommunistische Partei besorgniserregende Bilder: Der erste Besuch des polnischen Papstes Karol Wojtyla in seiner Heimat inspirierte die Geburt von „Solidarnoscz“, der ersten unabhängigen Gewerkschaft im Ostblock. Ungläubig sahen die Machthaber in Osteuropa zu, wie Arbeiter der Danziger Werft vor einer Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstochau knieten und den Rosenkranz beteten.

Auch in Jugoslawien zeigte sich ein Jahr nach dem Tod von Präsident Tito (der 1943 Jugoslawien als sozialistischer, föderativer Staat neu gründete) der ganze Ernst und die Misere der lange verdrängten, ungelösten nationalen, wirtschaftlichen und politischen Probleme. Die zwischennationalen Beziehungen waren hoffnungslos vergiftet und die Kroaten in der Herzegowina unterlagen einem strengen Sonderregime, das neben wirtschaftlicher Ausbeutung auch die Unterdrückung und Reglementierung ihrer Geschichte, Sprache, Religion und ihres Selbstbewusstseins einschloss.

Aber nach wie vor gehörte es zum nationalen Gefühl der Kroaten, katholisch zu sein. Nach den Entnationalisierungsversuchen der Osmanen widersetzten die Kroaten sich nun ebenso vehement den Atheisierungsversuchen der Kommunisten.

Da schlägt wie eine Bombe die sensationelle Neuigkeit ein: In Medjugorje soll die Gospa erscheinen und sich als „Königin des Friedens“ vorgestellt haben. Frustriert von der eigenen Regierung und enttäuscht von der europäischen Völkergemeinschaft richten die Menschen ihren Blick und ihre Hoffnungen auf das kleine Dorf in den Bergen der Herzegowina.

Teil II: Die „Seher“

2 Kommentare

  1. @crazyfrog
    Das ist ein schlechtes Zeichen, weil es einer quasi Anerkennung gleichkommt, wie es schon vorher für „Gebetsstätten“ gab…von der Kirche kann man niemals ein klares Wort erwarten! – traurig aber wahr.

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