gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Medizin ohne geistige Umweltverschmutzung

| 4 Kommentare

Sensation: Sogar die Zeitschrift Eltern äußert sich kritisch über Homöopathie, erfahren wir bei WissensLogs.

Und wer immer noch der Aufassung zuneigen sollte, dass Homöopathie „irgendwas Natürliches“ sei, dem empfehlen wir einen Blick auf diese Seite, wo allen Ernstes Röntgenstrahlung als homöopathische Substanz aufbereitet wird. Herrlich!

Ebenfalls sehr lustig: die „Homöopathie-verträgliche Zahnpasta“, über die der Schweizer skeptiker-blog berichtet. Und bei Excanwahn findet sich ein interessanter Leser-Kommentar:

Meiner Meinung nach, kann man nicht gleichzeitig Arzt, Wissenschaftler und Homöopath sein. Entweder man ist Arzt und Wissenschaftler -> dann kann man kein Homöopath sein. Oder man ist Arzt und Homöopath -> dann kann man kein Wissenschaftler sein. Wenn man aber Wissenschaftler und Homöopath ist, dann hat man die Bezeichnung Arzt nicht verdient, weil man genau weiß, dass Patienten getäuscht und ausgenommen werden.“

Dann fragen wir doch mal einen Arzt – konkret den Skeptiker und Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Werner Hessel: Was hat die GWUP eigentlich gegen Homöopathie?

Teil III:

Die Erfolge der Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) sind nach Ansicht der Kritiker auf den Placebo-Effekt zurückzuführen. Wieso schafft unsere moderne High-Tech-Medizin das nicht, so viel Suggestivkraft zu entwickeln?

Zunächst einmal behauptet die evidenzbasierte Medizin (EbM) nicht, dass die Dinge einfach seien – es gibt hier keine simplen Antworten auf komplexe Fragen und Problemstellungen, wie die Esoterik im Allgemeinen und die Alternativmedizin im Besonderen sie stets parat haben. Viele Patienten wünschen sich 100-prozentige Sicherheit, wenn es um diagnostische oder therapeutische Verfahren geht. Das aber können Ärzte gar nicht leisten, weil sie bei all ihren Erwägungen mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten und auch Risiken und unerwünschte Wirkungen mit einbeziehen müssen.

Außerdem weiß wissenschaftsbasierte Medizin um ihre Beschränkungen, während CAM nicht selten grenzenlose Verheißungen macht. Auf Beweismaterial gestützte Heilkunde ist dagegen ehrlich, bedient damit aber nicht das technizistische Machbarkeitsdenken vieler Patienten.“

Die Vorstellung also, dass auch Gesundheit „herstellbar“ ist.

In meiner Praxis erlebe ich recht häufig, dass ein Patient „sofort“ von seiner Erkältung befreit werden möchte, weil er einen wichtigen Termin hat oder ähnliches. Er oder sie ist dann sehr erstaunt zu hören, dass das nicht möglich ist. Wir können zwar zum Mond fliegen, aber bis heute einen Schnupfen nicht wirksam behandeln – diese Tatsache wird als eklatanter Widerspruch empfunden und ist anscheinend nicht leicht auszuhalten. Umso mehr natürlich, wenn es um wirklich schwere oder unheilbare Krankheiten geht.“

Ist dieses Machbarkeitsdenken nicht ebenso in der Schulmedizin verankert?

Das ist richtig.
Machbarkeitsansprüche werden auch von unseriösen Vertretern der EbM gefördert, etwa mit aufgebauschten Behandlungserfolgen und dem Verschweigen unerwünschter Ergebnisse. Auch Teile der Pharmaindustrie mit ihrer nicht immer durchschaubaren Produktvermarktung und der gezielten Fehlinterpretation von Studien spielen dabei eine unrühmliche Rolle. Da solche Praktiken durch die Medien inzwischen öffentlich bekannt sind, stehen auch viele kritische und hochgebildete Bürger der „Schulmedizin“ skeptisch gegenüber.“

Was sagen Sie Patienten mit solchen Vorbehalten?

Trotz aller Skandale und Fehler im System bleibt festzuhalten, dass die wissenschaftsbasierte Medizin Methoden verwirft, wenn sich herausstellt, dass diese Schaden anrichten können, oder wenn der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit fehlt. EbM ist also ständig in Bewegung und erklärt nichts für endgültig oder abgeschlossen.“

Etwas Ähnliches klingt doch auch in dem Standard-„Argument“ der Esoterik an: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt.

Nein, ich sehe hier nichts Ähnliches – sondern nur einen grandiosen logischen Fehlschluss: Aus dem unbestreitbar richtigen Hamlet-Zitat folgern Alternativmediziner schlicht, dass alles wahr ist, was wahr sein könnte.“

Nicht zuletzt aufgrund solcher Behauptungen ist CAM aber unzweifelhaft ein ausgezeichneter Träger des Placebo-Effekts, der auch in der geprüften Medizin zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ist das nicht an und für sich genommen positiv zu bewerten?

Nicht unbedingt, und das gleich aus mehreren Gründen. Einmal geht es um Aufrichtigkeit und Vertrauen, gerade in der sensiblen Arzt-Patienten-Beziehung: Wer eine unsinnige respektive naturwissenschaftlich unmögliche Methode wie Homöopathie einsetzt, um Placebo-Effekte zu erzielen, betrügt aus meiner Sicht den Patienten, auch wenn er Gutes anstrebt. Außerdem geht die Heilwirkung wissenschaftsmedizinisch bewährter Verfahren über Placebo-Effekte hinaus.

Und nicht zuletzt bin ich der Überzeugung, dass der Patient die Möglichkeit haben muss, sich umfassend selbst über die Therapie zu informieren. Das kann er aber nur, wenn er das Verfahren durchschaut und versteht – was bei der CAM schwierig ist, allein schon wegen des sogenannten Binnenkonsenses. Darunter versteht man die seltsame Tatsache, dass im Bereich der „besonderen Therapierichtungen“, zu denen auch die Homöopathie gezählt wird, die Anwender selbst über die Wirksamkeit ihrer Mittel und Verfahren entscheiden dürfen und keinerlei wissenschaftlich belegten Nachweis zur Wirksamkeit erbringen müssen.

Wenn man so will, handelt es sich also auch um eine Form der Demokratieerhaltung, wenn ich als Arzt nur geprüfte Medizin anwende, weil nur diese ihre Methoden transparent und für jedermann nachvollziehbar und erklärbar macht. Transparenz ist ja ein wichtiger Grundsatz der Demokratie: Nur der gut informierte Bürger kann sich eine Meinung bilden und sie in den demokratischen Prozess der Willensbildung einbringen.“

Kommen wir nochmal auf den Placebo-Effekt zurück.

Der wichtigste Grund ist: Wir brauchen keine alternativmedizinischen Methoden, um den Placebo-Effekt zu aktivieren. Es ist inzwischen gut belegt, dass die evidenzbasierte Medizin Placebo-Effekte sogar bis hin zu ganz spezifischen Wirkungsweisen von Medikamenten erzielt, etwa bei Parkinson. Man weiß auch, dass die Wirkung von Antidepressiva etwa zur Hälfte auf dem Placebo-Effekt beruht.“

Aber angenommen, es würde wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass man bei bestimmten Erkrankungen zehn Prozent mehr Patienten heilen kann, wenn man irgendeinen Unsinn zur Heilmethode erklärt – wäre das für die GWUP dennoch nicht akzeptabel?

Nein, denn der Placebo-Effekt der Unsinns-Behandlung ist immer untrennbar gekoppelt mit seinem negativen Gegenspieler, dem Nocebo-Effekt – und der geht zu Lasten der evidenzbasierten Medizin. Er kann die Wirkung wissenschaftlich bewährter Heilverfahren und Medikamente empfindlich schwächen, etwa wenn der Patient Angst hat vor der „schädlichen Chemie“, die darin enthalten sei, oder wenn er dem Arzt, bewusst oder unbewusst, misstraut.“

Nun ist Placebomedizin mehr als die reine Absichtserklärung, heilen zu wollen – sie muss für den Patienten auch suggestiv einsichtig sein, also in einer Sprache erfolgen, die der Organismus verstehen kann. Können Sie sich ein Therapiekonzept vorstellen, mit dem man das Potenzial der Placebo- und Suggestivmedizin ausschöpfen kann, ohne den Boden von Wissenschaft und Wahrhaftigkeit zu verlassen?

Auf jeden Fall. Placebo-Effekte sollten viel mehr als bisher erforscht und praktisch angewendet werden. Das geht mit Sicherheit auch in der EbM. Ich glaube, da stehen wir erst am Anfang. Allerdings sollte es aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit darum gehen, Placebo-Effekte zu optimieren, ohne geistige Umweltverschmutzung zu betreiben und die Patienten zu verdummen. Vor allem die praktischen Erfahrungen von Psychologen und „Schulmedizinern“ sollten hier hilfreich sein.“

Was würde umgekehrt die CAM denn aufgeben, wenn sie luftige Thesen und Phantasiebegriffe wie „geistartige Kräfte“, „Lebensenergie“ und ähnliches ad acta legen und sich stattdessen allein auf ihre positiven Aspekte wie Zuwendung, Nähe, Anteilnahme et cetera konzentrieren würde?

Dann verlöre sie ihren Namen und ihre Daseinsberechtigung und ginge in der geprüften Medizin auf. Ohne diese verquaste Begrifflichkeit und ohne solche kuriosen Denkmodelle hätte Alternativmedizin ja gar keine Verheißungen mehr, mit denen sie sich von der wissenschaftsbasierten Medizin abheben könnte.“

Zum Weiterlesen:

  • Teil I: Was hat die GWUP gegen Homöopathie? GWUP-Blog am 1. Februar 2011
  • Teil II: Homöopathie: Parallelwelt ohne Naturgesetze, GWUP-Blog am 2. Februar 2011
  • Teil IV: Unmögliches muss man nicht erklären, GWUP-Blog am 4. Februar 2011
  • Über-Dosis aus Protest: Homöopathie-Skeptiker geben sich die Kügelchen, Spiegel-TV am 5. Februar 2011
  • Streit um Homöopathie: Tierischer Placebo-Effekt, Spiegel-Online am 5. Februar 2011
  • Immun gegen Homöopathie in zwölf Schritten, Evidenz-basierte Ansichten am 3. Februar 2011
  • Globuli-Experiment: Überdosis Homöopathie, Der Standard am 2. Februar 2011
  • Elf Fragen an Homöopathie-Fans, GWUP-Blog am 18. Juli 2010
  • Der Begriff der Wissenschaft in der Medizin, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
  • “Diese Logik führt zurück ins Mittelalter”, Die Presse vom 18. Juli 2010
  • Bei Tieren gibt es (k)einen Placebo-Effekt, Plazeboalarm am 21. Juli 2010
  • Häufige Naturheiler-/Homöopathen-Argumente, WissensLogs am 18. November 2010 

4 Kommentare

  1. Volle Zustimmung, sehr schöner Beitrag. Ich plädiere dafür, dass die Ärzte endlich ein 1-Stunden-Gespräch mit Patienten abrechnen können, die Wartezimmer nicht aussehen wie beim Einwohnermeldeamt und dass die „normalen“ Mediziner den Placeboeffekt optimieren (Gespräche, Berührungen, soziale Wärme, Vertrauen usw.) statt dass diese Mängel durch die Alternativmediziner versucht werden auszugleichen.
    Man fasst es nicht. Zuneigung, Gespräche, Berührungen, das Gefühl, etwas ganz Individuelles zu erhalten unterstützt die Heilung, aber nicht die Zuckerpackungen mit den unterschiedlichen Etiketten drauf. Aber so lange unser Gesundheitssystem die 3-Minuten-Gespräche fördert, bleibt den „Medizinern“ fast nichts übrig, als auch noch Homöopathie anzubieten. Peinlich nur, wenn sie versuchen die magisch-abergläubische Ideologie dahinter auch noch zu verkaufen. Wie es der Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)aktiv macht. Gut, man muss sich nur anschauen, wen die zu ihrem Chefblogger gemacht haben ;-))

  2. alle skeptiker der homöopathie haben schlichtweg das wesen der homöopathie nicht verstanden, die löschung des stoffes nämlich, um die bildekräfte, die seele der materie hervorzuheben. es sind die bildekräfte des stoffes, die so den organismus stabilisieren, nicht mehr die atome des stoffes! aktion 1023 zeugt von der erbärmlichen bewusstlosigkeit der menschen.

  3. @mike:

    Ganz herzlichen Dank für diese Worte! Eben genau dies habe ich eben gemeint, bei den Kommentaren zu diesem Beitrag:

    https://blog.gwup.net/2011/02/04/homoopathie-der-film-zu-1023/

    Vielen Dank für die anschauliche Illustration, zu welchen „Gedankengängen“ Homöopathen fähig sind!

    Ich hatte schon befürchtet, das Beispiel mit dem britischen Homöopathen, der meint, man müsse den Wasserflakon zehnmal auf eine mit Leder und Pferdehaar bezogene Oberfläche schlagen, würde mir niemand glauben.

    Dank Ihnen habe ich da jetzt keine Befürchtungen mehr.

  4. Derartige Argumentation wie etwa die von „mike“ („Seele“) ist insofern entlarvend, weil sie zeigt, dass die Homöopathie längst den Rahmen der Wissenschaftlichkeit (den man sie ja immer noch für sich proklamiert) verlassen und sich zum esoterischem Heilsversprechen (sprich: Religion) gewandelt hat. So erklärt sich nicht nur das hartnäckige Festhalten an Irrationalem, sondern auch der insbrünstige sektenartigen Eifer ihrer Verfechter. Genau wie bei einer Sekte wird diese Glaubensgemeinschaft nicht etwa schwächer, sondern im Gegenteil gefestigter, je weniger sich ihre Prophezeihungen erfüllen.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.