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Alle Jahre wieder: die Cholesterin-Lüge

| 32 Kommentare

Da wir gerade über „Evil Big Pharma“ diskutieren:

Alle Jahre wieder, kurz vor den Festtagen,

  • flattert mir der Prospekt des seltsamen Kopp-Verlages ins Haus;
  • schneit es in der Presse Schlagzeilen à la „Cholesterin: Wie schädlich ist Weihnachten?“

Wo ist der Zusammenhang?

Fast zwangsläufig stößt man im Koppschen Programm auf Titel wie „Der große Cholesterin-Schwindel“ oder, noch drastischer, „Die Cholesterinlüge„.

Ein Verlag, der sich hauptsächlich mit Verschwörungstheoretikern und anderen Obskuranten schmückt, muss solche Bücher wohl vorhalten – schließlich führt die „Cholesterin-Verschwörung“ auch in einschlägigen konspirativen Foren ein zähes Eigenleben. Worum geht’s? Kurz zusammengefasst:

Die Cholesterinsenkung ist für Pharmafirmen, Ärzte und Margarine-Industrie ein Milliardengeschäft – aber nach Erkenntnissen von Professor Hartenbach und einigen führenden Wissenschaftlern völlig unnötig, schädlich und in vielen Fällen sogar lebensgefährlich!“

So heißt es im Klappentext von „Die Cholesterinlüge“. Und mit seinem Buch will besagter Professor Hartenbach nun nichts weniger, als „die Bevölkerung vom Psychoterror der Cholesterin-Gegner zu befreien“.

Ein hehres Ziel, sollte man meinen. Und in der Tat finden sich im Internet zahlreiche Dankesbekundungen von überzeugten Anhängern des Herrn Professor, der als „Chirurg“ firmiert (ehedem Chefarzt in Wiesbaden). So lesen wir zum Beispiel bei Opinio.de:

Gut, dass ich darüber gestolpert bin … Das Buch von Prof.Dr.med.Walter Hartenbach hat mir die Augen geöffnet.“

Wofür genau?

Dass Cholesterinsenker keinesfalls gut für den Patienten seien … Eine Theorie Prof. Hartenbachs ist auch, dass eine Cholesterinunterversorgung die Krebsentstehung begünstigt … Mit Lipidsenkern werden Milliarden verdient … Es gab niemals eine Klage gegen Prof. Hartenbach. Spricht das nicht für sich?“

Nicht unbedingt. Denn genau diese Frage hat sich auch ein anderer persönlich Betroffener gestellt. Um indes zu völlig gegensätzlichen Erkenntnissen zu gelangen:

Seit Jahren muss ich Cholesterin senkende Medikamente nehmen. Das Buch Die Cholesterinlüge öffnete mir die Augen für den Unsinn dieser Praxis – vorübergehend.“

„Mit Akribie“ ging der Mann den Behauptungen des Autors Hartenbach nach. Seine lesenswerten Recherchen hat er ebenfalls ins Web gestellt, Titel: „Die Cholesterin-Lüge?“ Zitat daraus:

Eine fachliche Diskussion könnte ich natürlich nicht führen.
Und bei diesem Gedanken tauchte in mir die Frage auf, warum glaube ich dem Autor der Cholesterinlüge mehr als den anderen vielen Fachleuten, die an die Richtigkeit der Cholesterinsenker glauben? Nur weil der Text halt irgendwie überzeugend klingt? Weil die Gewinnsucht der Industrie ein für mich eher einleuchtendes Argument darstellt? Für einen verantwortlichen Industriemanager würde dies wahrscheinlich nicht überzeugend sein!

Die inhaltlichen Fachaussagen im Buch von Hartenbach kann ich als Laie keinesfalls überprüfen. Was könnte und sollte ich dann eigentlich prüfen? Ja, doch einiges, z.B. wenn ich den Text so behandle, als wäre er eine geschichtliche Quelle eines Historikers (wissenschaftliche Quellenkritik) oder die Indiziensammlung eines gewissenhaften Richters (Beweiswürdigung). Was ist also zu tun, um zu einem Urteil zu kommen, das jedenfalls sicherer ist, als nur das Gefühl von Sympathie zum Autor und von Antipathie gegenüber der Pharma- und Margarine- Industrie?“

Ja, was ist zu tun, um zu einem begründeten Urteil zu kommen? Im Grunde sind es immer diesselben Fragen, die man stellen sollte – egal ob es um Cholesterin, die Mondlandung oder 9/11 geht:

  • Wem nützt und wem schadet eine Theorie?
  • Zu welcher Einsicht und vor allem zu welchem Handeln will sie bewegen?
  • Welches Manipulationspotenzial hat die Theorie?
  • Welche Motive könnten dahinter stecken?
  • Welcher Logik folgt die Argumentation?
  • Welche Belege und Indizien werden vorgebracht? Aus welchen Quellen stammen sie und wie verlässlich sind diese?
  • Wer ist der Urheber der Theorie, welchen Hintergrund hat er und wie ist er vernetzt? Welchen Ruf genießt er in welchen Kreisen?
  • Werden alle Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt?
  • Welche Tatsachen, Vermutungen und logischen Schlussfolgerungen werden ignoriert oder unterschlagen?
  • Was könnte Zufall sein oder ist ein Fremdkörper beziehungsweise Störfaktor?
  • Wer zieht welchen Nutzen aus einer bestimmten politischen, gesellschaftlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung?
  • Wer könnte diese gezielt beeinflusst haben und wie?
  • Welche logischen Widersprüche und Argumentationslücken lassen sich ausmachen und wodurch werden diese hervorgerufen?
  • Welche (andere) Meinungen und Quellen lassen sich zum Thema finden?
  • Könnte hinter einer Verschwörungstheorie ebenfalls eine Verschwörung stecken?
  • Welche Parallelen lassen sich in der Geschichtsschreibung finden? (Der Mensch funktioniert schließlich schon Jahrtausende nach den immer gleichen Verhaltensmustern.)“
  • Die „Cholesterinlüge“ scheitert vor allem an Punkt 8: „Werden alle Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt?“

    Das ist definitiv mit „nein“ zu beantworten, denn kaum ein Therapieprinzip ist empirisch so gut abgesichert wie die medikamentöse Cholesterinsenkung.

    Falsch ist auch die Uralt-Behauptung, dass profithungrige Pillendreher sich mit einem willkürlichen oberen Normwert von 200 mg/dl Gesamtcholesterin ein Heer von potenziell kranken und therapiebedürftigen Menschen geschaffen hätten. Sondern erst aus dem sogenannten Gesamtrisiko (die Summe aller Befunde und Faktoren) lässt sich eine eventuelle Behandlungsnotwendigkeit ableiten.
    Und so weiter, und so fort.

    Ist die „Cholesterinlüge“ also wenig mehr als eine krude Mixtur aus medizinischem Halbwissen, blühender Phantasie und klischeehaften Vorurteilen gegen korrupte Ärzte und habgierige Pharmaunternehmen?

    Ja klar – schließlich will ich meinen besagten vierwöchtigen Malediven-Luxusurlaub mit Kate Moss jetzt endlich antreten.

    Zum Weiterlesen:

    • Hohes Cholesterin – was nun? Gute Pillen, schlechte Pillen 4/2007
    • Stellungnahme der Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen (Lipid-Liga) zum Buch „Die Cholesterinlüge“
    • Lübecker Forscher entkräften Vorwurf der sogenannten Cholesterin-Lüge, Ärzteblatt vom 20. August 2008
    • Die Cholesterinlüge, Deutsche Herzstiftung e.V.
    • Checkliste Verschwörungstheorien, zoon politikon am 3. November 2009
    • Weihnachtsgans am Pranger, Focus am 22. Dezember 2010

    32 Kommentare

    1. Das ist definitiv mit “nein” zu beantworten, denn kaum ein Therapieprinzip ist empirisch so gut abgesichert wie die medikamentöse Cholesterinsenkung.

      #
      Mhh, ich schau Margarine mit dem Arsch nicht an, sollte ich mir mit Untergewicht Sorgen machen, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist?

      Unabhängig davon, wie meine Meinung zu Cholesterin, Magarine & Co ist, das hier ist einer der dämlichsten, weil strikt faktenlosen Artikel, die ich hier je lesen konnte.
      Kommt da noch was in der bisher gewohnten Qualität nach, oder meint Ihr den Mumpitz ernst?

    2. Als Chefredakteur einer medizinischen Fachzeitschrift, die durch die Pharmaindustrie gesponsert wird, würde ich genau so argumentieren und mir einen vierwöchtigen Malediven-Luxusurlaub spendieren lassen.

    3. @mike:
      << das hier ist einer der dämlichsten, weil strikt faktenlosen Artikel, die ich hier je lesen konnte.
      Kommt da noch was in der bisher gewohnten Qualität nach, oder meint Ihr den Mumpitz ernst?<<

      Manchmal meinen wir es tatsächlich ernst, dass wir hier nur ein paar Anstöße und Verweise liefern und den Lesern zumuten, sich selber ein weiteres/abschließendes Urteil zum Thema zu bilden.

    4. @notizblog: Als GWUP-Kritiker, der öffentlich darüber greint, dass es ihm „trotz intensiver Bemühungen“ nicht gelingt, herauszufinden, um welche Zeitschrift es sich überhaupt handelt, würde ich
      a) erst mal meine eigene Unfähigkeit bedenken, bevor ich solche Kommentare schreibe;
      b) bedenken, dass ein Satz wie „die von der Pharmaindustrie gesponsert wird“ eine Tatsachenbehauptung ist, für die man Sie belangen könnte, falls das gar nicht stimmt;
      c) vielleicht ein, zwei Argumente einwerfen, anstatt meinen Unverstand hier öffentlich kund zu tun.

    5. Aktuelle Ergänzung von heute:

      „Was kann man denn noch glauben?“:

      http://blog.esowatch.com/?p=2738

    6. @mike: Also ich habe jetzt den empfohlenen Text „Die Cholesterin-Lüge?“ (also den mit dem Fragezeichen dahinter) gelesen und finde das in der Tat vorbildlich, was der Mann da gemacht hat. Wieso ist ein Blogging „inhaltslos“, wenn auf solche Dinge hingewiesen wird?

    7. Wer nichts weiss, muss alles glauben. Cholesterin gehört zu diesen Themen. Die ganze Hysterie um zu hohe Cholesterinwerte ist meist völlig übertrieben. Schliesslich produziert der menschliche Körper selber auch Cholesterin, das für uns lebenswichtig ist. Eine recht gute Abahndlung dazu findet man bei Wikipedia. Globale Normwerte sind falsch und führen nicht selten zu ganz falschen Schlussfolgerungen. Richtig ist aber auch, dass ein chronisch zu hoher Cholesterinspiegel zu Krankheiten führen kann. Entscheidend ist, dass Produktion und Zufuhr mit dem Bedarf im Gleichgewicht sind. Pharmazeutika sind hier in der Regel übrigens völlig überflüssig. Wer einen zu hohen Cholesterinspiegel hat, kann diesen mit Bier, Wein, saurem Most, Paprika und vielem anderen mehr natürlich senken. Margarine besteht übrigens grösstenteils aus künstlich gehärteten Pflanzenfetten, die ihrerseits wiederum gesundheitliche Risiken bergen. Deshalb sollte man weder um Cholesterin noch die „Cholesterin-Lüge“ ein grosses Tamtam machen.

    8. Nach einer 30-jährigen „Diätkarriere“ und immer steigendem Gewicht bin ich im letzten Jahr auf striktes Low Carb High fat umgestiegen – natürliche Lebensmittel, viel Gemüse, Eier, Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Olivenöle, gutes Kokosöl mit vielen gesättigten Fetten…
      mir ging es noch nie so gut wie heute. Gelenkschmerzen weg, Tinnitus weg, Schlaf- und Verdauungsstörungen weg… UND 20 Kilo weg.

      Mein Cholesterinwert ist vermutlich stark erhöht. Muss ich jetzt sterben, obwohl ich viel gesünder bin als noch vor einem Jahr?

      Das Buch mag extrem reisserisch sein, aber Fakt ist auch, dass die angeblich medikamentös zu behandelnden Cholesterinwerte stetig niedriger angesetzt werden und auch, dass es inzwischen gar nciht mehr so klar ist, dass man die Cholesterinwerte tatsächlich durch die Ernährung nennenswert herunterfahren kann, vielmehr stehen auch Veranlagung etc. im Verdacht….

      Ein reisserisches Buch mit einem ebenso reisserischen Artikel zu verdammen, bringt es nicht. Hier ersetzt eine Verschwörungstheorie die andere….

    9. @Martina Yaman:

      Wieso sollten bei dieser Ernährung, die Sie schildern, Ihre Cholesterinwerte erhöht sein, wie kommen Sie darauf?

      Das Gegenteil dürfte der Fall sein – und ich bin weder Arzt noch Ernährungswissenschaftler.

    10. Denkt doch mal nach: Jahrmillionen von Evolution haben bei uns Menschen (und unseren Vorfahren) zu den heutigen selbstregulierenden Mechanismen unseres Körpers geführt. Dieser produziert so viel HDL- und LDL-Cholesterin, wie er benötigt und wie es sich evolutionsbiologisch als am besten herausgestellt hat. Jetzt kommt eine Pharmaindustrie, deren Hauptziel per definitionem die Gewinnmaximierung ist, die die Mechanismen des menschlichen Körpers nur sehr rudimentär und bruchstückhaft versteht, und versucht mit künstlichen Cholesterinsenkern, die in der Natur nirgends zu finden sind, diese Körpermesswerte zu manipulieren, ohne die Ursachen zu kennen oder gar zu beheben, und gibt uns dabei noch jede Menge krasser Nebenwirkungen wie Muskelzerfall, Diabetes, ALzheimer, Krebs (siehe Beipackzettel) mit. Ich muss da nicht lange überlegen… Da brauche ich übrigens auch keine Studie, um mir meine Meinung zu bilden. Schönen Gruß!

    11. @Andi:

      << Dieser produziert so viel HDL- und LDL-Cholesterin, wie er benötigt und wie es sich evolutionsbiologisch als am besten herausgestellt hat. Jetzt kommt eine Pharmaindustrie, <<

      Äh – nein. Es geht um *Nahrungs*-Fette, die wir heute in weit höherer Menge zu uns nehmen als je zuvor in der "Evolution".

      << Da brauche ich übrigens auch keine Studie, um mir meine Meinung zu bilden. <<

      Genau, bitte von Tatsachen nicht verwirren lassen.

    12. @ Andi:

      Hast Du denn auch nachgelesen, wie oft genau diese Nebenwirkungen auftreten? Und hast Du mal ein paar Studien darüber gelesen, wie gut Cholesterinsenker das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko mindern? Wo genau hast Du eigentlich Dein Medizinstudium absolviert, dass Du Dich hier als der grosse Oberchecker aufspielst? Und wo Deine Facharztausbildung – und in welchem Fachgebiet eigentlich?

      Nebenbei: das Ziel JEDER Industrie ist die Gewinnmaximierung. Sogar Prof. Hartenbach, der Autor des „Cholesterinlüge“-Schmierenwerks (der übrigens Chirurg war, also nun nicht wirklich vom Fach), war vor allem an Gewinnmaximierung interessiert, sonst hätte er in eine der zahlreichen Neuaufnahmen auch mal neuere Forschungsergebnisse eingearbeitet (nota bene: das Buch war bereits bei seinem ersten Erscheinen mehr als 15 Jahre veraltert).

    13. @ Andi:

      Nachtrag zu den „heutigen selbstregulierenden Mechanismen unseres Körpers“:

      Wenn die so toll funktionieren, wieso leiden dann so viele Menschen unter Diabetes – und zwar sowohl Typ I als auch Typ II? Gerade Typ II entsteht nämlich genau dann, wenn diese Mechanismen mit zunehmendem Alter nicht mehr so gut funktionieren. Genauso wie beim Cholesterin. Oder der Harnsäure.

      Das liegt u.a. auch an der gestiegenen Lebenserwartung: die ist nämlich in den letzten Jahrhunderten derartig steil angestiegen, dass die Natur (um mal ein vereinfachtes Bild zu verwenden, auch wenn es in Wirklichkeit ’natürlich‘ sehr viel komlizierter ist) seitdem noch gar nicht genügend Zeit hatte, sich darauf einzustellen, sprich: die menschlichen Körper soweit zu verändern, dass diese Mechanismen deutlich länger als bisher gut funktionieren.

      Wie so eine Anpassung theoretisch (aber nicht mehr praktisch, s.u.) vonstatten gehen könnte, kann man recht gut am Beispiel der Adipositas erkennen: während früher die Fähigkeit, Reserven anzulegen und Energie zu speichern ein eindeutiger Selektionsvorteil war, so überleben heutzutage auch die „Hungerhaken“, die essen können, soviel sie wollen, ohne dabei gross Fett anzusetzen, problemlos und können ihre Erbanlagen an die nächste Generation weitergeben. Deshalb wird dieses Phänomen in Zukunft auch häufiger werden.

      Da allerdings auch die guten Futterverwerter weiterhin zur Fortpflanzung gelangen werden, werden auch ihre, inzwischen nicht mehr vorteilhaften, Gene weiter im Genpool der Menschheit verbleiben. Somit hat der Mensch durch seinen medizinischen Fortschritt einen entscheidenden evolutionären Regulationsmechanismus ausser Funktion gesetzt.

      Und so wird es dann auch mit Zucker, Cholesterin & Co. sein: da diese Verarbeitungsinsuffizienzen sich praktisch immer erst dann entscheidend auswirken, wenn die reproduktive Phase im Leben eines Menschen bereits vorüber ist, werden auch diese Gene auf Dauer überleben.

    14. Mir ist da weiter oben noch ein älterer Kommentar aufgefallen:

      „Wer einen zu hohen Cholesterinspiegel hat, kann diesen mit Bier, Wein, saurem Most, Paprika und vielem anderen mehr natürlich senken.“

      Seltsam: ich habe eine Reihe von Cholesterin-Patienten, die mehr Alkohol trinken, als sie eigentlich sollten – bei allen habe ich grosse Schwierigkeiten, das Cholesterin vernünftig einzustellen. Aber macht einer mal mit dem Alkohol eine Zeitlang Pause, stellen sich wie von Geisterhand plötzlich traumhafte Blutfettwerte ein. Woran das wohl liegen könnte?

      Und die ebenfalls weiter oben erwähnte Kostform „Low Carb High fat“ ist einfach nur Wahnsinn und brandgefährlich.

    15. @ Andi:

      Vermutlich tragen Sie auch im tiefsten Winter weder Schuhe noch Kleidung, oder? Denken Sie doch mal nach: Jahrmillionen von Evolution haben bei uns Menschen (und unseren Vorfahren) zu den heutigen selbstregulierenden Mechanismen unseres Körpers geführt. Dieser produziert so viel Wärme, wie er benötigt und wie es sich evolutionsbiologisch als am besten herausgestellt hat. Und jetzt kommt eine Textilindustrie, deren Hauptziel per definitionem die Gewinnmaximierung ist…

      Merken Sie was?

    16. @ Andi:

      Es ist auch evolutionsbiologisch falsch, was Du schreibst. Die Unterstellung, die von Dir so bezeichneten „selbstregulierenden Mechanismen“ seien optimal auf die Erfordernisse der Lebensumstände angepasst gewesen, ist durch nichts zu begründen. Sie beruht auf einem unhaltbaren, statischen Verständnis von Evolution. Evolution kennt keine dauerhaft stabilen Zustände, sie ist im Ganzen ein emergenter Prozess, ein Prozess laufender Anpassung an stetig sich ändernde Bedingungen. Ein optimal angepasster Organismus würde seine Entwicklung zum Stillstand gebracht haben.

      Bernd Harder hat die wichtigste veränderte Randbedingung bereits genannt: die zivilisatorisch veränderten Lebensumstände; Behausung, Kleidung, Ernährung, tägliche Energiebilanz.

      Und ganz am Rande: es kommt noch etwas weiteres hinzu: die Auflösung der Grenzen lokaler Genpools. Noch für die Menschen des mitteleuropäischen Mittelalters war es so gut wie unmöglich, Fortpflanzungspartner außerhalb des engeren Lebenskreises zu finden. Das sieht heute anders aus: der Mitteleuropäer kann, wenn er gefällt, Partner aus den Tropen, aus dem fernen Osten oder vom Polarkreis finden, und auf solchen Skalen spielen genetische Varianten für die Metabolik schon eine Rolle. Auch hier ist also Anpassung gefragt, und zwar innerhalb ziemlich kurzer Zeitskalen.

      Die Annahme, es habe einmal eine Art Goldenes Zeitalter nachhaltig optimaler Anpassung gegeben, ist der Grundirrtum der Naturverklärer aller Spielarten und Epochen; in der neuesten Variante der Irrtum der Paläoköstler. Selbstverständlich kann man, wenn man der Meinung ist, solche idealen Verhältnisse müsse man nur reproduzieren, um kerngesund zu bleiben, solche Rekonstruktionen versuchen, aber dann darf man nicht inkonsistente isolierte Aspekte herausgreifen – und man muss sich mit der Lebenserwartung und dem allgemeinen Gesundheitsstatus der gedachten Arkadier abfinden. Ich wäre dazu nicht bereit, denn dann wäre ich schon lange tot.

    17. @ crazyfrog:

      Schön ja vor allem gleich der erste Kommentar unter dem Artikel, in dem die Kommentatorin fragt, ob wir denn noch in einer Demokratie lebten. Okay, sie ist keine „Dr.“, sondern nur „Mag.“, aber selbst als solche sollte man zumindest ungefähr wissen, dass Wissenschaft nichts mit Abstimmungen zu tun hat. Böses Eigentor.

    18. Und pünktlich wie immer nach solchen Ausstrahlungen hat vorhin wieder mal ein Patient eine grössere Diskussion über seinen Cholesterinsenker angefangen.

      Ich brauche inzwischen keine TV-Zeitung mehr, um zu wissen, was gerade läuft (bzw. gelaufen ist), das kriege ich alles indirekt über meine Patienten mit, ganz zuverlässig.

    19. Ernährungstips unserer Zeit, betrachtet aus der Vergangenheit:

      https://daserste.ndr.de/extra3/Zeitreise-der-Ernaehrung,extradrei2204.html

      Könnte mir jemand bitte mal das breite Grinsen aus der Visage hauen?

      (Nebenbei: vor genau 2 Wochen verstarb ein gleichaltriger Freund von mir, der gleichzeitig auch mein Patient war. Ich hatte bei ihm vor 11 Monaten im Rahmen eines Routine-Checks ein sehr hohes Cholesterin festgestellt, das LDL bei 3.9 . Bei positiver Familienanamnese für Cholesterin allgemein und Myocardinfarkt speziell riet ich ihm dringend zu einer Statin-Therapie. Er wollte nichts davon wissen und es stattdessen mit diätetischen Massnahmen alleine versuchen.

      Bei der Verlaufskontrolle im Frühjahr lag das LDL bei 4.4 . Er wollte trotzdem mit Diät weitermachen. Bei der erneuten Kontrolle Anfang September lag das LDL wieder bei 3.9 – was mein Freund als Erfolg verbuchte. Aber immerhin konnte ich ihn zu einer professionellen Ernährungsberatung überreden – eine Medikation lehnte er weiterhin ab.

      Am 5.10. fiel er dann beim Mountainbiken mit Myocardinfarkt vom Rad. Er hinterlässt eine Frau und zwei kleine Kinder. Ich mache mir seither grosse Vorwürfe, ihm sein persönliches Risiko nicht eindringlicher nahegebracht zu haben.)

    20. @ noch’n Flo
      Ich kann deinen Gemütszustand annähernd nachvollziehen, da ich in der Familie mit meiner Mutter einen ähnlichen Fall habe.

      Sie hatte (offenbar genetisch bedingt) ihr Leben lang sehr hohe Werte, die mit keiner Ernährungsanpassung in den Griff zu bekommen waren. Erst nach jahrelangen, beharrlichen Überredungsversuchen von mehreren Seiten und kurz bevor es schon zu spät war, hat sie sich zur Teilnahme an einer Studie für ein neues Mittel überreden lassen. Dieses senkte ihre Werte tatsächlich deutlich und nachhaltig mit positiven Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden.

      Trotz dieses Erfolgs wollte sie die Weiterbehandlung nach Beendigung der Studie wieder absetzen, weil sie dazu in mehrwöchigem Abstand ca. 70 km in das Krankenhaus fahren hätte müssen (ihr Gesundheitszustand ist insgesamt nicht sehr gut), bzw. die notwendige, nicht gerade billige Spritze selbst hätte zahlen müssen. Erst weitere massive Überzeugungsarbeit von allen Seiten konnte sie dazu bringen, weiter zu machen.

      Deine Gewissensbisse ehren dich, aber eine Person alleine, selbst wenn es der behandelnde Arzt ist, kann kaum etwas erreichen, wenn der Patient (aus welchen Gründen auch immer) nicht mitmacht.

      Jahrzehntelange Überzeugungen wiegen schwerer, als die beste fachliche Expertise.

    21. Dazu:

      „Ein langer THREAD mit dem Versuch einer Evidenz-basierten Gegendarstellung zur „#Cholesterin-Bluff“-Doku auf @ARTEde“

      https://twitter.com/NBeyhoff/status/1183664140340137984

    22. @ Bernd Harder:

      Ich habe die x-te Wiederholung dieses unsäglichen Machwerks auch mit grossem Bauchgrimmen zur Kenntnis genommen. Mal schauen, wieviele meiner Cholesterin-Patienten da wieder ihre Medikamente absetzen.

      Wobei ich ja im Moment bei diesem Thema auch noch ein anderes Problem habe: seit vergangenem Jahr ist hierzulande der neue Cholesterinsenker Evolocumab im Handel, ein monoklonaler Antikörper, welcher subcutan gespritzt wird und aufgrund der aufwändigen Herstellung und Entwicklung derzeit recht teuer ist (alle 2 Wochen eine Spritze für CHF 233.35).

      Aus diesem Grund ist er derzeit vor allem Hochrisikopatienten vorbehalten, deren LDL mit den bisherigen oralen Medikamenten nicht ausreichend gesenkt werden kann.

      So weit, so gut, könnte man sagen. Nur dass nun vor wenigen Monaten die Guidelines für die LDL-Einstellungen von Hochrisikopatienten deutlich verschärft wurden – der Grenzwert sank von bislang 1.8 mmol/l auf 1.4 mmol/l. Das hat erstmal durchaus ein Geschmäckle – musste da etwa gleich mal ein Markt geschaffen werden?

      Denn eine Senkung auf unter 1.4 mmol/l ist mit den bisherigen Medikamenten fast unmöglich, selbst in Höchstdosis (z.B. Kombination 20mg Rosuvastatin mit 10mg Ezetimib). 1.8mmol/l sind hingegen oral oft problemlos zu erreichen.

    23. @ noch´n flo

      Mein Medikament Simva-Hennig, 20 mg, soll ich laut Aussage meines Arztes abends einnehmen.

      Was spricht dagegen, wenn ich es morgens zusammen mit meinem Medikament Micardis (Blutdrucksenker) einnehme? Und ist es tatsächlich erforderlich, dass ich die beiden Mittel erst eine Stunde nach dem Verzehr von 2 Tassen Kaffee einnehme, da sie sonst nicht „richtig“ wirken?

    24. @ P. Castell:

      Der menschliche Körper kann Fette nachts besser verarbeiten als tagsüber (mit den Kohlenhydraten ist es genau andersherum), daher werden Statine bevorzugt abends gegeben.

      Ich handhabe es allerdings so, dass wenn ein Patient die Abendeinnahme regelmässig vergisst, ich eher die die morgendliche Einnahme empfehle, denn ein zuverlässig eingenommenes Medikament ist auch mit leicht eingeschränkter Wirkung im Regelfall immer noch besser als ein Mittel mit guter Wirkung, welches aber nur jeden 2. Tag genommen wird.

      Zum Kaffee: bei „Micardis“ finde ich im Arzneimittel-Kompendium: „Micardis kann mit dem Essen oder nüchtern eingenommen werden.“ Von Kaffee steht da nix. Letzteres gilt auch für das Simvastatin.

    25. @ noch´n flo

      Herzlichen Dank!

      Toll und verständlich erklärt.

    26. @ P. Castell:

      Jederzeit gerne.

    27. @ Bernd Harder:

      Ich habe es auch wieder zuverlässig am Tag nach der Ausstrahlung von meinen Patienten erfahren.

      Im Übrigen wurde der LDL-Grenzwert für Hochrisikopatienten vor kurzem nochmal verschärft – jetzt liegt er bei 1.0mmol/l. So langsam wirkt das wirklich seltsam gewollt…

    28. @Flo und Pierre Castell:

      Das ist allerdings eine irgendwie Pferd-von-hinten-aufzäumen Erklärung.

      Der Körper synthetisiert das Cholesterin (das wiederum u.a. für die Fettverwertung nötig ist) hauptsächlich nachts.
      Statine hemmen das Schlüsselenzym dieser Synthese, so dass weniger Cholesterin hergestellt wird.

      Wenn allerdings ohnehin kaum was hergestellt wird, kann man auch nicht viel hemmen, daher abendliche Gabe.

      @Thema

      Das hält sich auch hartnäckig. Und fällt auch bei Leuten, die sich fachlich damit auseinandersetzen können müssten, auf fruchtbaren Bode.

      Eine Kollegin (Pharm. Ing.) schimpft immer über die Statine und weigert sich auch, welche zu nehmen, die ihr angeraten wurden. Sie hat einmal einen Beitrag über die Cholesterinlüge im Fernsehen gesehen (auf ARTE glaube ich sogar) und nimmt das einfach so als Wahrheit hin.

    29. @ Christian Becker:

      Und warum senken morgens eingenommene Statine das Chllesterin trotzdem so gut?

    30. @Flo
      Ich habe nur erläutert, warum Statine abends genommen werden (und habe das auch nur so gelernt und nicht selbst untersucht) sollen.

      Dass die Gabe idealerweise abends erfolgt, heißt im Umkehrschluss ja nicht, dass eine morgendliche Gabe eine Wirkung ausschließt.

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