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Astro-TV: Auf dem Straßenstrich der Astrologie

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Beim Großreinemachen vor den Feiertagen mal wieder meine Sammlung an uralten Mad-Heften entstaubt. Ausgabe 177 etwa muss wohl aus dem Jahr 1983 stammen, jedenfalls ist eine Parodie auf „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ drin. Und natürlich das damals obligate Monatshoroskop.

„Zweite Woche: Ihr Partner ist in letzter Zeit erstaunlich kurz angebunden“, heißt es da beispielsweise. „Also seien Sie kein Unmensch und machen Sie dem armen Geschöpf die Leine ein bisschen weiter!“

Oder: „Vierte Woche: So leicht und unbeschwert haben Sie sich selten gefühlt. Kein Wunder. Sie sind eine Null und aus Ihnen ist die Luft raus!“

Ob „Deutschlands bekannteste Star-Seherin“ (Bild) Lilo von Kiesenwetter, meine Kontrahentin in der „Kerner“-Sendung, früher auch Mad gelesen hat? Im aktuellen Horoskop auf ihrer Webseite schreibt sie jedenfalls zu meinem Sternzeichen: „Zu Weihnachten und Neujahr keine Exzesse und Völlereien mehr Proteine und Vitamine damit Ihr Immunsystem sich optimal erholen kann.“ (Interpunktion originalgetreu).

Ah ja. Und was erwartet mich im Büro?

„Diplomatisch bleiben“, rät die Seherin vom Rhein. „Lassen Sie sich in einer Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten nicht zu Beleidigungen hinreißen.“ Na sowas – und ich dachte immer, dass es der Karriere-Schub schlechthin sei, den Boss mal so richtig zu dissen. Hab ich mich wohl geirrt. Danke, Lilo!

Irgendwie erinnert mich das an „Astro-TV“, den Spartensender unterhalb des geistigen Existenzminimums. Wo „Beraterinnen“ dilettieren, die sogar als Avon-Beraterin scheitern würden. Und „Berater“, die in jedem Bus sofort als Schwarzfahrer belangt werden, auch wenn sie einen Fahrschein haben – einfach, weil sie so aussehen.

Eingeklemmt zwischen  balkendicken Telefonnummern und vergleichsweise winzigen Tarifangaben wie lebende Sandwiches, spulen sie ihre nichtssagenden Floskeln herunter. Und das ist noch wohlwollend ausgedrückt. „Straßenstrich der Gegenwartsastrologie“ nennen Kollegen, die sich selbst natürlich für etwas Besseres halten, Fernsehkanäle wie „Astro-TV“ und Co. – Markus Jehle etwa.

Aber es gibt auch Leute, die dieses Bildschirm-Bestiarium ganz prima finden. Sylvius Bardt zum Beispiel. Der Mann ist Vorstandsvorsitzender der Questico AG. Jenes Unternehmen also, welches die „Astro-TV“-Beraterinnen ungefiltert ihren Wortmüll durch die Gegend speien lässt. In einer an sich kritisch gedachten Broschüre der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen darf sich der Fairness halber auch der „Diplom-Kaufmann, MBA“ ausführlich verbreiten.

In seinem Pro-„Astro-TV“-Plädoyer stellt Bardt eindrucksvoll unter Beweis, dass man sogar „Toleranz“ zum veritablen Unwort herabwürdigen kann. Gefühlte 127 Mal auf zehn Seiten heischt der Geschäftsmann nach „Toleranz“ für sein zynisch-geldgeiles Verdummungsprogramm. Zur „Toleranz“ gehöre übrigens auch, „dass genau hingeschaut wird, bevor Urteile gefällt und Stereotypen bedient werden“.

Tun wir, Herr Bardt. Auch wenn ich dafür mit gelegentlichen Depressionen vor der Mattscheibe, erhöhtem Rotweinkonsum und dem einen oder anderen Hörsturz bezahlen muss.

Und nicht nur wir freundlichen Skeptiker von der GWUP. Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Katja Fuhrtmann analysiert in der besagten EZW-Broschüre detailgenau die „Sprachlich-kommunikativen Strategien des Telefonfernsehens Astro-TV“. Ihr Fazit:

„Man könnte am Ende dieses Beitrags kritisch fragen, ob es den Tausenden Anrufern nicht auffällt,

  • dass die Beraterin nach teils banalen kommunikativen Prinzipien verfährt,
  • dass sie ihre Voraussagen aus ihrem umfassenden Alltags-, Welt- und Erfahrungswissen ableitet und mit kübelweise Balsam für die Seele verbindet,
  • dass Astro-TV und das Esoterikportal Questico allein auf dem Nährboden der Unsicherheit und des Unkritisch-Seins der Kunden gedeihen und damit stetig steigende Umsätze erwirtschaften können?“

Da fragt man sich doch wirklich, wieso das originale Mad-Magazin 1995 eingestellt werden musst (die aktuellen Panini-Ausgaben sind für echte Fans bloß noch eine Lachnummer, leider eine schlechte)? Trotz zahlloser Orakelsprüche á la „Astro-TV“:

„Vierte Woche: Endlich ist bei Ihnen der Knoten geplatzt! Ganz schön peinlich – denn nun stehen Sie im Schwimmbad ohne Badehose da.“

Zum Weiterlesen:

2 Kommentare

  1. ich empfehle unbedingt die Astro TV Beiträge auf Youtube anzuschauen, sehr unterhaltsam, wirklich gut.

  2. @Ganzius:

    Na, dann vielleicht lieber gleich die Parodien bei „Kalkofes Mattscheibe“ …

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