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Buchtipp: „Der Fisch“, das Monster vom Bodensee

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In den Tiefen des Bodensees lauert der Tod. Taucher werden vermisst, eine Fähre sinkt unter mysteriösen Umständen, ein rätselhaftes Fischsterben grassiert. Zudem häufen sich plötzlich Sichtungen von seltsamen Buckeln, die durch die Wasseroberfläche brechen und spurlos wieder verschwinden.

Hat der Eingriff des Menschen in die empfindliche Ökologie des Bodensees ein uraltes Ungeheuer erweckt? Haben gar außerirdische Mächte die Hand im Spiel? Droht eine feindliche Invasion? Ein terroristischer Anschlag? Oder sind es doch nur wieder Wahrnehmungstäuschungen und der Medienhype um ein angebliches Monster, die die Menschen in Angst versetzen?

Der Limnologe (d.h. Seeforscher) Carl Ghuimin, der am Bodensee eigentlich über Tsunamis forscht, begibt sich mit einer jungen Journalistin auf die Spur des schwäbischen See-Ungeheuers „Boddy“. Und plötzlich tauchen die beiden ab in ein Verwirrspiel aus alten Legenden, neuen Lügen, intriganten Verschwörern und drohenden Katastrophen …

Ulrich Magins Buch „Der Fisch“ entführt den Leser in die dunklen Tiefen und mysteriöse Vergangenheit des Bodensees. Magin schreibt regelmäßig für die Zeitschrift SKEPTIKER, herausgegeben von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), der größten und ältesten Skeptiker-Organisation im deutschsprachigen Raum. Mit „Der Fisch“ verlässt Magin erstmals das sichere Terrain von Sachbüchern und wissenschaftlichen Beiträgen über Kryptozoologie. Wir sprachen mit dem Autor über seinen ersten Thriller, wahre Mythen, falsche Monster und die menschliche Urangst vor der Natur.

Ulrich, bisher hast du dich streng wissenschaftlich mit Seeschlangen und anderen Monster-Mythen beschäftigt. Dabei ging dir leider kein echtes Ungeheuer ins Netz. Ist „Der Fisch“ also deine Abrechnung mit der enttäuschenden Wirklichkeit?

Ulrich Magin: Nein, denn die Wirklichkeit enttäuscht selten … Aber ich beschäftige mich seit über 30 Jahren mit See-Ungeheuern und den Mythen, die sich um sie ranken. Da war die Verlockung groß, einfach einmal – gegen jedes Wissen – so zu tun, als seien Augenzeugenberichte Wirklichkeitsprotokolle, und dann eine Erklärung zu finden, die all die gemeldeten Phänomene unter einen Hut bringt. Und ich wollte etwas Spannendes konstruieren, das beim Lesen Spaß macht: Schließlich ist es ein Unterhaltungsroman, kein Fachbuch.

Was mich beim Lesen besonders fesselte, war die fast Lovecraft’sche Verquickung von real existierenden Mythen aus dem Bodensee-Raum mit deiner fiktiven Seeschlangen-Geschichte. Was hältst du denn selbst von diesen alten Überlieferungen?

Ulrich Magin: Da ist der Bodensee nur ein Beispiel von vielen: Jeder See in Europa hat Sagen über Riesenschlangen, Monsterfische, versunkene Städte, Tunnels zu anderen Seen. Es wird erzählt, die Seen seien bodenlos und forderten jedes Jahr ein Opfer. Manche dieser Erzählungen gründen auf Tatsachen, andere sind nur Ausdruck der Angst vor dem Unbekannten. Aber sie verleihen der Alltagsgeographie eine mythische Dimension, holen das Numinose ins Gewöhnliche. Auch wenn nichts davon im konventionellen Sinne „real“ ist, ist es doch Bestandteil der Realität.

Die Legenden, Sichtungen und Ereignisse wie verschwundene Taucher und mysteriöse Satelliten-Aufnahmen, die du in „Der Fisch“ nennst, sind ja in vielen Fällen real. Könnte es also nicht doch sein, dass im Bodensee ein noch unbekanntes Wesen lebt, das für diese Phänomene verantwortlich ist?

Ulrich Magin: Schwerlich.

Und wieso?

Ulrich Magin: Zuerst einmal könnte sich kaum etwas vor den Augen der Touristen verbergen, die ja seit 150 Jahren an den See kommen. Zweitens gibt es seit etwa 500 die großen Kloster am Bodensee, die Chroniken geführt haben, lief über den Bodensee im Mittelalter doch eine der Haupthandelsrouten. Die wenigen Zeugnisse, die wir aus der Zeit haben, sprechen nicht dafür, dass es da walgroße Monster in biologisch relevanter Zahl geben könnte.

Und drittens sind all diese Berichte nur ein Teil von Geschichten, die sich um jeden europäischen See ranken, sie sind also nicht auf den Bodensee beschränkt. Es sind allgemein erzählte Sagen, die am See lokalisiert werden, damit sie erzählt werden können.

Eine Geschichte wie: „Vielleicht werden Welse groß genug, um Boote zu versenken“, klingt weniger aufregend als: „Vor mehreren Jahren stand in der Presse, dass ein Monsterwels bei Bregenz ein Boot gerammt und versenkt hat. Der Angler, der darin saß, hat nicht überlebt.“

Wie lange hast du denn für „Der Fisch“ recherchiert? Wie entstand die Geschichte?

Ulrich Magin: Seit vielen Jahren, allerdings nicht mit der Absicht, einen Roman zu schreiben. Irgendwann dachte ich: Was wäre, wenn? In der Fantasie malte ich mir aus, was es heißen würde, wenn ein Raubtier, das größenmäßig zwischen Eisbär und Pottwal liegt, in einem dicht besiedelten Ökosystem lebt, in das der Mensch massiv eingreift – und niemand die Wahrheit kennt und jemand will, dass das auch so bleibt.

Und die vielen Materialen, die ich für das Buch über Seeungeheuer in Mitteleuropa angehäuft hatte, machten es möglich, Phänomene auszuwählen, die den Anfang der Gesichte ergaben. Der Rest folgte dann fast automatisch.

Im Gegensatz zu Nessie aus Schottland ist Boddy vom Bodensee ja nur ein C-Promi – noch! Meinst du, dein Buch könnte Monstern aus dem Schwäbischen Meer einen Popularitätsschub verpassen?

Ulrich Magin: Da sich alles als Roman präsentiert, denke ich weniger, dass sich daraus ein Boddy-Boom ergibt. Hätte ich es wie manche Sensations-Autoren gemacht, die Sichtungen als Sachbuch veröffentlicht und behauptet, es gebe da mitten in Europa lebende Saurier, dann hätte sich daraus – wenn die Medien vor Ort eingestiegen wären – eventuell ein Monster-Mythos entwickeln können. Aber so etwas lässt sich nur retrospektiv analysieren. Man kann nicht vorhersagen, welche der hunderte von Lokalmonstern irgendwann einmal überregional von Bedeutung sein werden.

Bleiben wir mal bei Loch Ness: Sind da jetzt sämtliche Seeschlangen-Sichtungen nur Erfindungen der Tourismus-Industrie oder was steckt da wirklich dahinter?

Ulrich Magin: Nein, die Tourismus-Industrie hat mit Nessie nichts zu tun, sie nutzt Nessie nur. Die Tourismus-Industrie nutzt ja auch den Schwarzwald und hat ihn trotzdem nicht erschaffen. Die Klischees, die über Nessie häufig von pseudo-skeptischer Seite verbreitet werden – Erfindung der Touristen-Manager, zu viel Whiskey getrunken, die Augenzeugen lügen … all diese Klischees haben keinen Halt in der Wirklichkeit.

Das Ungeheuer von Loch Ness, wie wir es heute kennen, hat sich über 60 Jahre entwickelt. Es ist wie bei den UFOs: Authentische, dem Zeugen nicht erklärbare Beobachtungen gründen einen Mythos, der, einmal etabliert, selbst die Wahrnehmung des Sees und der Sichtungen beeinflusst und formt.

Die ersten Nessie-Sichtungen 1933 waren vage, da wurde nur etwas Großes gesehen. Die Möglichkeit, dass während des Hochwassers ein Meereslebewesen in den See gekommen war, schien so absurd nicht. Die Idee, dass Nessie im Loch Ness lebt (also nicht nur auf Besuch ist), dass es mehrere davon gibt und dass es sich um einen Saurier handelt, war erst Ende der 1950er Jahre etabliert. Die Leute sehen etwas, weil tatsächlich etwas zu sehen ist – von Seehunden zu Treibholz, Wellenphänomenen und Booten.

Mittlerweile wird selbst der zynischste Skeptiker, wenn er im Loch Ness ein unbekanntes Wellenphänomen erblickt, zuerst an Nessie und nicht an ihm unbekannte physikalische Prozesse denken. Das Ungeheuer von Loch Ness gibt es, es ist ein Überbegriff für zahllose Stimuli, die als „Monster“ wahrgenommen werden. Es ist wie bei den UFOs: Die Zeugen lügen nicht, sie wissen nur nicht, was sie gesehen haben und erklären sich selbst ihre Beobachtung mit dem, was sie aus den Medien als Erklärung kennen.

Du schreibst ja auch Sachbücher, dein neues heißt: „Die Seeschlange vom Comer See: Geheimnisvollen Seeungeheuern im Gardasee, im Comer See und im Lago Maggiore auf der Spur„. Was lauert denn da in den Seen des europäischen Festlands?

Ulrich Magin: Wie gesagt, in allen Seen findet man die gleichen Phänomene: treibende Baumstämme, Kielwasser, reflektierte Bootswellen, sogenannte Seiches (eine Art Schwappen des gesamten Seewassers), schwimmende Rehe, Pferde. In den meisten Seen werden die beobachtet, aber eben nicht als Monster interpretiert. Wenn man aber weiß (entweder aus den Medien oder der Überlieferung), dass im See etwas Ungewöhnliches sein soll, kann man diese Phänomene als Monster wahrnehmen und weitererzählen.

In den oberitalienischen Seen gibt es eine große Menge Sichtungsberichte, aber bisher noch niemanden, der sich zum Promoter dieser Sichtungen gemacht hat. Durch das Internet ändert sich die Lage gerade, und mit Spannung verfolge ich jüngste Versuche am Gardasee, aus den dortigen Berichten ein medienwirksames Monster zu konstruieren.

Ich bin jetzt mal die gute Fee und du kannst dir einen kryptozoologischen Fall aussuchen, den du aufklären darfst – mit welchem Ergebnis auch immer. Was würdest du dir denn wünschen?

Ulrich Magin: Die Idee, dass Nessie real und ein lebender Plesiosaurier sein könnte, hat mich schon als Kind fasziniert. Also, liebe Fee – mach‘ daraus Wirklichkeit! Ich könnte es in dem Fall locker verschmerzen, dass ich mit meinen Analysen falsch lag.

Im Brotberuf bist du Sprachwissenschaftler und arbeitest als Programmleiter in einem Verlag. Wie kommt es, dass du dich so sehr für Seeschlangen und ungeheuerliche Mythen interessierst?

Ulrich Magin: See-Ungeheuer haben mich von Kind an fasziniert, und diese Faszination hat nie nachgelassen, auch wenn ich nicht mehr an Dinosaurier in Schottland glaube – als Kind war das einfacher! Wenn man einen See betrachtet und weiß, dass viele Menschen das Glück hatten, darin ein Monster zu sehen, wenn man auch weiß, wie häufig sich z.B. Tsunamis in unseren Seen ereignen oder welche Naturkräfte selbst im stillsten Bodensee toben, macht das einen Urlaub dort interessanter.

Solche Sichtungen – selbst die realen Hintergründe – können einen Ort verzaubern und ihm eine Magie verleihen, die er sonst nicht hätte. Und ich habe kein Problem damit, mich verzaubern zu lassen.

Die Hauptfigur deines Romans, der Limnologe Carl Ghuimin, erlebt unglaubliche Abenteuer und löst ein großes Geheimnis. Carl Ghuimin – ein Anagramm von Ulrich Magin. Mal Hand aufs Herz: Wünschst du dir denn manchmal, die Realität wäre so spannend wie dein Thriller?

Ulrich Magin: Statt hauptsächlich für Fachleute interessante Analysen über die Entstehung und Verbreitung von Erzähl-Traditionen zu schreiben, wäre es sicher angenehmer, der Mann zu sein, der einen walgroßen Riesenmolch aus dem Bodensee zerrt … Andererseits ist es auch sehr viel ungefährlicher, denn mein Molch kann ja richtig zubeißen. Ich bleibe wohl besser vernünftig – Carl ist ja eher hastig und unüberlegt im Handeln – und lebendig.

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Autor: Stefan Kirsch

Stefan Kirsch: Diplom-Germanist und Redakteur, aktiv in der GWUP seit 2000. Studium der Germanistik, Journalistik, Philosophie und Psychologie an der Universität Bamberg, Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband (djv). Beruflich ist er in der Unternehmenskommunikation eines deutschen Technologie-Konzerns tätig.

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