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Alternative Diagnose- und Therapieverfahren

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Im Aschaffenburger Alibri-Verlag erschien unlängst Dr. Colin Goldners neues Buch „Alternative Diagnose- und Therapieverfahren. Eine kritische Bestandsaufnahme„. Die Medizinjournalistin Dr. Krista Federspiel, Mitglied im Wissenschaftsrat der GWUP und u.a. Co-Autorin des Stiftung-Warentest-Klassikers „Die Andere Medizin„, hat das Werk gelesen und für den SKEPTIKER rezensiert:

Es ist ein wichtiges Unterfangen, kranke Menschen und potenzielle Kunden über medizinische Außenseiterangebote zu informieren und vor esoterischer Scharlatanerie zu warnen. Umso mehr, als vieles aus dem kulturellen Untergrund längst in das etablierte Gesundheitswesen eingedrungen ist und den Anbietern – Heilpraktikern wie Ärzten – gutes Geld sowie Krankenversicherungen zahlende Mitglieder einbringt. Leider geht der Plan des Autors nicht wirklich auf, die 30 wichtigsten Diagnose- und Therapieverfahren entsprechend verständlich darzustellen. Und das hat mehrere Gründe.

Die einzelnen Themen werden unterschiedlich präsentiert – wie es sich beim Abdruck dieser ursprünglichen Beiträge aus der Süddeutschen Zeitung (Online: Part 1, Part 2) zwangsläufig ergibt. An mancher Stelle erfahren Leser etwas über die Entstehungsgeschichte eines Verfahrens, über Ausbildung der Anbieter oder Kosten des Angebots, an anderer Stelle nicht. Während in einigen Fällen Anbieter beim Namen genannt werden, ist andernorts von „bekannten Instituten“ die Rede. Bisweilen berichtet der Autor von Todesfällen (z.B. aufgrund von Neuraltherapie), in anderen Fällen nennt er dokumentierte Todesfälle (Rebirthing) nicht.

Zwar hat Goldner in mancher Anbieter-Szene offenbar intensiv recherchiert, ruht sich aber bei anderen Themen auf veralteten Informationen aus. So ist seine Beschreibung der Reiki-Ausbildung alles andere als aktuell: Heute braucht niemand mehr für die Ausbildung zum „Reiki-Meister“ unverschämte Summen zu bezahlen – sie ist überall wohlfeil zu haben. Auch haben sich einige Fehler eingeschlichen, die auf Ungenauigkeiten oder mangelndem Wissen beruhen. So verwechselt der Autor die Stromstimulierung an Akupunkturnadeln mit der Elektroakupunktur nach Voll, einem völlig anderen Verfahren. Die Moxibustion wird von Goldner als Abbrennen der Beifußkegel auf Akupunkturnadeln statt auf Akupunkturpunkten beschrieben; bei Tuina und Shiatsu verwechselt er Henne mit Ei. Fälschlich setzt Goldner im Kapitel Farbtherapie „Biophotonen“ mit einem Kraftfeld gleich und stuft das Pendel als eines der „weitestverbreiteten Diagnostikverfahren“ ein.

Im Kapitel Homöopathie erklärt der Autor die „Miasmen“ als „durch frühere schulmedizinisch-pharmazeutische Behandlungen (Antibiotika, Impfstoffe etc.) erzeugte Schädigungen“. Das stammt aus einer modernen Quelle – Antibiotika und die meisten Impfungen gab es zu Hahnemanns Lebzeiten noch nicht. Der Autor hätte besser auf die absurden Gedanken des Homöopoathie-Erfinders hingewiesen: Hahnemann hatte unter Miasmen Krätze, Gonorrhö und Syphilis verstanden und sie verdächtigt, als „Urübel“ alle chronischen Krankheiten verursachen – sogar noch bei den Nachkommen.

Goldners Sprache leidet unter komplizierten Schachtelsätzen und Fremdwörtern („Erfolge psychotroper Natur“), altmodischen Formulierungen und Sprachneuschöpfungen wie „überplaceboider Wert“. Und was soll man von einem Satz wie diesem halten: „Mit aufgeblähter Terminologie wird der Anschein quantenphysikalischer Wissenschaftlichkeit erweckt.“?

Oft setzt der Autor voraus, was Leser noch nicht wissen können, so verwendet er den Ausdruck „feinstofflich“, erklärt und hinterfragt ihn aber nicht. Sein Ton ist manchmal schnoddrig, manchmal überzogen: „hochpopulär“ oder „weitestverbreitet“. Die höchste Steigerungsstufe verwendet der Autor häufig, was – auch bei z.B. „wohlwollendster Toleranz“ – auf Dauer abstumpft. Die gleiche Wirkung erzielt auch das Aufführen besonders abstruser esoterischer Entwicklungen: So kann bei bisher uninformierten Lesern der Eindruck entstehen, Goldner verwerfe alles in Bausch und Bogen, obwohl sein Urteil zumeist auf Logik beruht und annähernd dem Stand des Wissens entspricht.

Leider fehlen gelegentlich Hinweise auf aktuelle klinische Studien. So etwa sind medizinische Wirkungen von Yoga durchaus nachgewiesen – was Goldner verneint. Eine Überarbeitung und ein aufmerksames Lektorat hätten dem Taschenbuch gut getan.

Trotzdem: Der Autor warnt zu Recht vor falschen Behauptungen und möglichen Folgeschäden unkonventioneller Heilsangebote. Das Buch enthält eine umfangreiche Datensammlung und mag deshalb als Basisinformation und zur Warnung dienen.

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Autor: Stefan Kirsch

Stefan Kirsch: Diplom-Germanist und Redakteur, aktiv in der GWUP seit 2000. Studium der Germanistik, Journalistik, Philosophie und Psychologie an der Universität Bamberg, Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband (djv). Beruflich ist er in der Unternehmenskommunikation eines deutschen Technologie-Konzerns tätig.

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