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Angst vorm CERN: Mein Feind, der Forscher?

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Sind Wissenschaftler „mad“ und ihre Arbeit eine Bedrohung für den ganzen Planeten? Liest man manche Artikel und Kommentare in der Blogosphäre betreffend das CERN und den Large Hadron Collider (LHC), so scheinen doch einige Zeitgenossen genau dieser Meinung zu sein.

Für den SKEPTIKER sprach GWUP-Pressesprecher Bernd Harder mit den Physikern Dr. Detlef Küchler und Dr. Holm Hümmler über Sicherheit, Gott-Teilchen, Elfenbeintürme und den Legitimationsbedarf moderner Forschung. Wir veröffentlichen beide Interviews vorab hier im Weblog. Den Auftakt bildete das Gespräch mit Dr. Detlef Küchler (siehe: Experimente am CERN: Weltuntergang?), den Abschluss macht Dr. Holm Gero Hümmler. Er ist GWUP-Mitglied, Physiker, Meteorologe und Geschäftsführer einer mittelständischen Unternehmensberatung. Bis zu seinem Wechsel in die Wirtschaft forschte er am Max-Planck-Institut für Physik in München, am CERN in Genf und am New Yorker Brookhaven National Laboratory.

Dr. Hümmler, der Verschwörungsthriller „Illuminati“ nimmt seinen Anfang am CERN, und aktuell befürchten besorgte Zeitgenossen, dass das Kernforschungszentrum ganz real den Weltuntergang riskiert. Hat das CERN ein Image-Problem?

Holm Hümmler: Das CERN an sich weniger, vielleicht eher die Grundlagenforschung allgemein. Sicher, die Darstellung des CERN in „Illuminati“ ist hanebüchener Blödsinn. Und leider trägt sie dazu bei, etwas eigentlich sehr Sachliches in absurder Weise zu mystifizieren. Dass Menschen von Dingen, die sie nicht verstehen, leicht zu beunruhigen sind, ist nur natürlich – aber Beunruhigung und Mystifikation sind eben keine gute Kombination.

Gibt es denn Grund zur Beunruhigung?

Holm Hümmler: Nein, denn das CERN ist in der komfortablen Situation, das ihm entgegengebrachte Vertrauen nie wirklich enttäuscht zu haben – im Gegensatz zu einigen anderen Forschungszentren. Vor sieben Jahren zum Beispiel sollte die Welt schon einmal untergehen, damals ging es um Beschleunigerexperimente am Brookhaven National Laboratory in New York. Die Argumente der Gegner waren exakt die gleichen wie jetzt beim CERN. Und genauso unsinnig. Nur war dort kurz zuvor aufgeflogen, dass das Labor über Jahre hinweg ein – wenn auch unter gesundheitlichen Aspekten unbedeutendes – radioaktives Leck in der Reaktoranlage vertuscht hatte. Dann hat man in der Tat natürlich schnell ein Image-Problem.

Man könnte man über solche Ängste, wie sie aktuell in Medienberichten und Blogs geäußert werden, schmunzeln oder den Kopf schütteln – andererseits unterliegt die Wissenschaft in modernen Massendemokratien einem hohen Legitimationsbedarf. Was würden Sie als Physiker und Unternehmensberater Ihren Ex-Kollegen am CERN raten?

Holm Hümmler: Ja, der Kampf um Forschungsmittel wird immer mehr in der Öffentlichkeit ausgetragen, zugleich aber für die Forscher immer schwieriger und intransparenter, vor allem mit jedem neuen „Exzellenzprogramm“. Damit steigt der Legitimationsbedarf für teure Grundlagenforschung, deren Sinnhaftigkeit aber den Bürgern viel weniger offensichtlich ist als zum Beispiel konkrete Anwendungsforschung oder die boomenden Umweltforschung. Das verführt leider viele Wissenschaftler dazu, sich an der besagten Mystifikation zu beteiligen und die Bedeutung ihrer Arbeit maßlos zu übertreiben, anstatt sie verständlich zu machen.

Zum Beispiel?

Holm Hümmler: Formulierungen wie „Der Urknall im Labor“ entstammen ja durchaus der Selbstvermarktung der Teilchenphysik, und von da ist es nicht weit bis zu dem unsäglichen, aber in den Medien leider inzwischen fest verankerten Begriff „Gott-Teilchen“ als Name für das Higgs-Boson, das seit zwei Jahrzehnten meist gesuchte Teilchen. Als ob es nicht faszinierend genug wäre, zu untersuchen, was die Welt – nämlich die Materie – im Innersten zusammenhält!

Für Wissenschaftler sicherlich, aber was sollen sich normale Menschen unter einem Higgs-Boson vorstellen?

Holm Hümmler: Natürlich, die Grundlagenforschung muss Geschichten erzählen, um die Milliarden an Steuergeldern zu begründen, die sie benötigt, um ihre Arbeit machen zu können. Was mir in diesen Geschichten fehlt, sind die Menschen, die ihr Leben dieser Forschung widmen. Wir ehren die Forscher der Vergangenheit und vergessen die Forscher, die heute großartige Leistungen erbringen. Aber nur diese Menschen sind es, denen wir letztlich vertrauen – nicht Forschungskollaborationen, Detektoren oder Rechenmodelle.

Andere Fachrichtungen vermitteln Forschung über ihre Forscher, und auch die Physik hat das früher getan. Noch vor 50 Jahren war das Bild, das die breite Bevölkerung mit Physik assoziierte, Albert Einstein vor einer Tafel. Heute sind es winzige Menschen vor beängstigend gigantischen Apparaten, und genau diese Bilder findet man auch auf der Homepage des CERN.

„Die Zauberlehrlinge wollen Gott spielen!“ heißt es denn auch in einem Online-Kommentar zu den LHC-Experimenten. Wieso hält sich in weiten Kreisen der Bevölkerung so hartnäckig die Vorstellung vom „Mad Scientist“, wenn es um Wissenschaft und Erkenntnis geht?

Holm Hümmler: Weil die Bürger eben keine normalen Wissenschaftler zu sehen bekommen. Der einzige wirklich prominente zeitgenössische Physiker ist Stephen Hawking. Dass seine Arbeiten für die experimentell prüfbare Teilchenphysik eigentlich keine Rolle spielen, ist weder bekannt noch von Bedeutung. Wenn dem Fernsehzuschauer oder Zeitungsleser überhaupt ein Physiker einfällt, dann Hawking. Er wird bemitleidet und gleichzeitig bewundert, aber auch er kann nicht die Rolle des Sympathieträgers ausfüllen, von denen die moderne Physik dringend einige bräuchte.

So wie „Q“ in den James-Bond-Filmen?

Holm Hümmler: Das meine ich gar nicht unbedingt, es geht dabei weder um Personenkult noch um Leute mit Superstar-Qualitäten. Sondern um ganz normale Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, die ihr Leben darauf verwenden, Neues zu entdecken. Die CERN-Folklore ist voller Geschichten über interessante Typen mit ihren Ideen und Eitelkeiten, ihren Durchbrüchen und Fehlschlägen. Das seit 20 Jahren andauernde Rennen um den Nachweis des Higgs-Bosons ist genauso spannend wie vor 100 Jahren der Wettlauf zum Südpol. Und selbst in einer Tageszeitung kann man einen interessanten und unterhaltsamen Artikel über die Arbeit eines einfachen Doktoranden platzieren.

Schwarze Löcher, der Urknall, einpolige Magnete und Seltsame Materie – also all das, worum es bei den LHC-Experimenten geht – sind aber nun mal recht bizarre Dinge. Kann man die damit verbundenen Ängste und Sorgen einfach als „Wissenschafts-Analphabetismus“ abtun?

Holm Hümmler: Wer für seine Forschung Geld oder auch nur Akzeptanz will, hat die Verpflichtung, zu erklären oder zumindest erklären zu lassen, was er eigentlich tut, und zwar verständlich. Leider ist das für einen Wissenschaftler, der gewohnt ist, mit anderen Wissenschaftlern zu kommunizieren, nicht immer einfach. Dazu kommt bei vielen Forschern die Erfahrung, dass man von den Medien desto eher wahrgenommen wird, je dicker man aufträgt. So wird dann von „Über-Lichtgeschwindigkeit“, „Beamen“ oder dem „Gott-Teilchen“ gesprochen, obwohl es dabei im Grunde um alltägliche Dinge und nichts Phantastisches geht.

Alltägliche Dinge? Ich zitiere mal aus einem anderen Blog: „Was nützt mir als normalem Bürger ein Schwarzes Loch auf der Welt? Was bringt das, solange Tausende Menschen an Aids und Krebs sterben? Daran sollten diese Wissenschaftler am CERN arbeiten …“

Holm Hümmler: Wenn sich vor 100 Jahren die Begründer der modernen Physik entschlossen hätten, anstatt so etwas Nutzloses wie Quanteneffekte lieber die Pocken oder die Tuberkulose zu erforschen, hätten wir heute weder Kernenergie noch Solarzellen, weder Computer noch die Möglichkeiten der modernen Medizin. Oder eben doch, denn ein paar Jahre später hätten dann statt Planck, Einstein und Bohr eben andere Forscher die Grundlagen der heutigen Physik gelegt.

Wissen, also die Welt um uns herum verstehen zu wollen, ist doch Teil der menschlichen Natur, eine Grundlage der westlichen Zivilisation und wahrscheinlich der Grund, weshalb wir überhaupt bis heute überlebt haben. Nur wer sich mit dem Grundlegenden beschäftigt, wird auch langfristig erfolgreich sein. Es hat schon seine guten Gründe, weshalb die aufstrebenden asiatischen Länder sich so bemühen, eben auch in der Grundlagenforschung zu uns aufzuschließen.

Das bekannteste „Nebenprodukt“ der Grundlagenforschung am CERN ist übrigens das World Wide Web (WWW), das ursprünglich nur als Plattform für den internen Datenaustausch zwischen den Forschern gedacht war. Mittlerweile gibt es an dem Forschungszentrum eine Arbeitsgruppe, die sich nur um den Wissens- und Technologietransfer in die Industrie kümmert.

Vielleicht fühlen sich die Wissenschaftler – auch am CERN – im Grunde ganz wohl in ihren Elfenbeintürmen. Schließlich ist mühsam, solche komplizierten Versuche und Sachverhalte einem Laienpublikum verständlich zu machen.

Holm Hümmler: Eine Elfenbeinturm-Mentalität findet man bei Physikern natürlich auch, aber wohl nicht häufiger als zum Beispiel bei Wirtschaftswissenschaftlern oder Historikern. Die Aufgabe, Wissenschaft zu erklären und zu vermitteln, kann und muss aber auch nicht jeder Forscher selbst wahrnehmen – bei manchem würde es schon genügen, wenn er populärwissenschaftliche Kommunikation nicht geringschätzig betrachten würde. Das ist nämlich ein hartes Brot. Journalisten sind eben nicht immer nett, haben häufig kein entsprechendes Vorwissen und praktisch nie die Zeit, wissenschaftliche Themen mit der eigentlich notwendigen Sorgfalt zu behandeln beziehungsweise sich einzuarbeiten.

Immerhin hat jede Uni einen Pressesprecher, der sich um die Journalisten kümmern soll.

Holm Hümmler: Der ist aber auch in den seltensten Fällen Physiker. Für die Universitäten würde ich sagen, wer als Professor seine Studenten für sein Forschungsgebiet begeistern kann, sollte das genauso mit Laien können. Große Forschungsinstitute dagegen brauchen ganz eindeutig Kommunikationsprofis, die Forschungsarbeit systematisch nach außen tragen. Die dürfen dann aber nicht ausschließlich daran gemessen werden, wie oft sie das Institut auf die Titelseite einer Zeitung oder Illustrierten bringen – sonst sind wir ganz schnell wieder beim „Gott-Teilchen“. Und letztlich führt kein Weg daran vorbei, möglichst oft die Türen zu öffnen und viele Menschen durch die Anlagen zu führen. Das ist anstrengend, aber als vertrauensbildende Maßnahme unbezahlbar.

Beunruhigt Sie persönlich das verbreitete Misstrauen gegen die Wissenschaft? Ich denke hier zum Beispiel an Bücher wie das von Martin Rees: „Unsere letzte Stunde – Warum die moderne Naturwissenschaft das Überleben der Menschheit bedroht.“

Holm Hümmler: Das gehört laut Amazon nicht einmal zu den 100.000 populärsten Büchern in Deutschland. Und wer sich solche Fragen stellt, setzt sich wenigstens mit Wissenschaft auseinander. Viel schlimmer finde ich es, wenn Jugendliche ohne jeden Bezug zur Wissenschaft aufwachsen.

Von „Star Trek“ vielleicht mal abgesehen …

Holm Hümmler: Gutes Stichwort, denn Science-Fiction von gestern ist heute Teil des Alltags, denken Sie etwa an die Automatiktüren, die handlichen Kommunikationsgeräte und Kleincomputer in der Originalserie „Raumschiff Enterprise“. Ich befürchte aber, dass Eltern und Schule da einfach nicht mithalten.

Wie will man sich eine Meinung zur Gentechnik bilden, wenn Ökokult und Schöpfungslehre Einzug in den Biologieunterricht halten? Wer kann über Energiepolitik diskutieren, wenn er im Physikunterricht bis zum Erbrechen Wurfparabeln gerechnet hat, aber nicht weiß, wie eine Solarzelle funktioniert und von Kernspaltung nur gehört hat: „Das Atom ist böse“? Wer hingegen gesehen hat, wie aufregend es ist, die Welt zu entdecken, muss nicht das Standardmodell der Teilchenphysik nachrechnen können, um mit Freude auf die neuesten Forschungsergebnisse vom CERN zu warten.

Video zum Thema:
Large Hadron Collider – The Search For The Higgs (1/3):

Links zum Thema:

Autor: Stefan Kirsch

Stefan Kirsch: Diplom-Germanist und Redakteur, aktiv in der GWUP seit 2000. Studium der Germanistik, Journalistik, Philosophie und Psychologie an der Universität Bamberg, Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband (djv). Beruflich ist er in der Unternehmenskommunikation eines deutschen Technologie-Konzerns tätig.

8 Kommentare

  1. CERN macht mir persönlich doch schon nen wenig Angst. Niemand weiß, was wirklich passiert. Alle sprechen in Wahrscheinlichkeiten. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass etwas „Unschönes“ passiert gegen 0,00999 tendiert, sollte man die Finger von solch einem folgeschweren Versuch lassen. Der Versuch wird ja irgendwie millionenfach wiederholt…

  2. Cern ist einfach eine Modelleisenbahn für Junggeblibene. Das Problem ist einfach dass diese Trotteleien Alle bezahlen müssen.

  3. @ Albert Wilfert:

    „Das Problem ist einfach dass diese Trotteleien Alle bezahlen müssen.“

    Im CERN entstand u.a. die Idee des World Wide Web, das übrigens auch Sie – gemessen an Ihren hiesigen Kommentaren – heute sehr rege verwenden. Sicherlich ist die Trottel-Quote im Web inzwischen sehr hoch, aber das macht es noch lange nicht zu einer Trottelei. Doch wenn Sie es nicht mögen: Gehen Sie offline! Danke.

    PS: Bereits mehrfach sind Sie hier mit unqualifizierten Beiträgen aufgefallen. Der Gipfel war Ihr dümmlicher Vergleich von Homöopathie-Kritikern mit Nazi-Schergen in diesem Thread. Trotzdem haben Sie eine zweite dritte Chance erhalten – und sie nicht genutzt, um an Ihrem Stil zu arbeiten. Aus diesem Grund erscheinen hier keine Beiträge mehr von Ihnen: Weil Ihr flüchtig dahingetippter Unsinn redundant ist. Nennen Sie es Zensur. Wir nennen es Qualitätskontrolle.

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